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Noch mehr Risse, noch mehr Streit

■ AKW Brunsbüttel: 128 Risse / Heute tagt Reaktorsicherheits-Kommission / Betreiber: Notfalls 10.000 Nähte prüfen

: 128 Risse / Heute tagt Reaktorsicherheits-Kommission / Betreiber: Notfalls 10000 Nähte prüfen

Betriebsbedingt oder nicht? Die Spekulationen über die Ursache der Risse in den Rohren des Atomkraftwerks Brunsbüttel werden vielleicht schon bald ein Ende finden. Denn heute sollen die Ergebnisse der Experten, die seit Donnerstag die beschädigte Schweißnaht „13.3 B“ unter dem Elektronenmikroskop begutachten, der Reaktorsicherheitskommission in Bonn vorgelegt werden.

Derweil nimmt die Zahl der entdeckten Risse täglich zu. Bei den 607 geröntgten Schnittstellen wurde bis gestern bei 128 Schweißnähten ein Rißverdacht festgestellt. „Der Befund der Experten ist entscheidend für die Atomkraftbetreiber“, sagte Kraftwerksleiter Volker Brodale gestern gegenüber der Deutschen Presseagentur. Sollten die Schäden durch den Betrieb hervorgerufen worden ein, müsse „grundsätzlich über den Werkstoff Austenit nachgedacht werden“. Dieser Stahl ist in allen bundesdeutschen Druck- und Siedewasserreaktoren verwendet worden. In Brunsbüttel sind sogar Austenit- Leitungen im sicherheitsrelevanten Reaktor-Kühlsystem eingebaut. Sie wurden bislang noch nicht überprüft. Für das Kieler Energieministerium steht schon jetzt fest, daß die Beschädigung an der Naht „13.3 B“ durch den Kraftwerksbetrieb hervorgerufen wurde. Es stützt sich auf Gutachter, die den Riß als „betriebsbedingt“ einstufen. Dieser Ansicht widersprechen die Hamburgischen Elektrizitäts-Werke (HEW), Betreiber des Kraftwerks, vehement. Ihr Kommentar: Eine verfrühte Analyse.

Zur genauen Untersuchung wurde die Schweißnaht jetzt aus dem Rohr herausgetrennt und im Erlanger Institut der Kraftwerksunion zerschnitten. Die bei diesem Rohr festgestellte Beschädigung war auf Röntgenbildern von 1979 noch nicht vorhanden gewesen.

Für Wirbel hatten am Wochenende auch das Magazin „Focus“ gesorgt. Nach seinen Berichten hatten Mitarbeiter der Hamburger Firma „Aweco“ (Gesellschaft für zerstörungsfreie Materialprüfung) zugegeben, in den 80er Jahren bei der Überprüfung von Schweißnähten in Brunsbüttel und Krümmel Röntgenaufnahmen von schadhaften Schweißnähten beseitigt zu haben. Der HEW-Kommentar: „Wenig plausibel.“ Untersuchungen von Fremdfirmen würden nicht nur vom Auftraggeber, sondern auch von einem unabhängigen Gutachter, in der Regel dem TÜV, abgenommen. Das Kieler Energieministerium hat wegen der Berichte die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Die Kraftwerksleitung in Brunsbüttel kündigte nun an, das Prüfprogramm auszuweiten. Notfalls müßten sämtliche 10000 Schweißnähte geprüft werden. HEW-Sprecher Johannes Altmeppen: „Die Anlage geht erst wieder ans Netz, wenn der letzte Zweifel ausgeräumt und der letzte Riß beseitigt wurde.“ Alle defekten Schweißnähte würden herausgetrennt und erneuert. Kai von Appen

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