: Sorgen deutscher Mütter
■ Der serielle Kohl-Clip auf Sat 1: Zur Sache Kanzler", Freitag, 19.00 Uhr
Da hat die Kommerzfunk-Kreativität aber wieder unbarmherzig zugeschlagen! Nicht MitarbeiterInnen aus dem eigenen Sender, nicht mehrere GastjournalistInnen gleichzeitig, nein: drei Fragesteller hintereinander durften Helmut Kohl zur öffentlichen Stellungnahme treiben. Und damit gleich alles klar ist: nicht ihre eigenen Anliegen breiteten die zwei Zeitungsmänner und die Radiofrau da vorm Kanzler aus. Völlig demokratisch ließ Sat.1-Neuzugang Heinz Klaus Mertes die Themen demoskopisch bestimmen. Das Rennen gewonnen hatten Wirtschaftskrise, Kriegsgefahren und „Ausländerprobleme“ (der Kommerzfunk-Oberbegriff für Rassismus, Rechtsradikalismus und Lichterketten).
Mit der unheimlich volksnahen und direkten Frage „Wann haben die Menschen wieder Arbeit?“ brachte Bild-Vize Dieckmann den Regierungschef gleich zu Beginn aus dem Takt. Kohl bekannte: „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“, und verkündete eine neue „Aufschwungphase“ zum Ende des Jahres. Zur Frage der Autobahngebühren wollte der HochgeBildete dann die Antwort gar nicht mehr hören. „Die Höhe ist noch völlig offen“, stellte Dieckmann fest und ließ Kohl bestätigen. Es scheinen beide ihre tägliche Lektüre vernachlässigt zu haben. Hatte Bild doch am gleichen Tag eine Gebühr von 400 Mark als Exklusivmeldung in die Welt gesetzt. Elke Schneiderbanger von der Seichtwelle Antenne Bayern durfte ihren Kollegen nach fünf Minuten ablösen und bohrende Fragen über „Ausländerprobleme“ stellen. Ob Politiker denn wg. Glaubwürdigkeit zu ihren Ängsten stehen sollten, „oder haben Sie keine Angst?“ Doch Kohl konnte die TV-Gemeinde beruhigen: „Ich wollte Bundeskanzler werden, ich bin es und ich muß damit leben.“ Daß Wolfgang Stock von der FAZ den Kanzler schließlich noch nach einem „klaren Kurs“ im Balkankrieg fragte und Volksängste weitergab („Muß die deutsche Mutter Sorgen haben, daß ihr Sohn in Afrika fällt?“), das dürften die meisten ZuschauerInnen schon gar nicht mehr mitbekommen haben, so tief beeindruckt von Sachkenntnis, Wissensdurst und Hartnäckigkeit.
In zwei Monaten können wir uns wieder mit Helmut Kohl freuen. Dann dürfen erneut drei antreten zum zwanzigminütigen Stichwortgeben. Auf die Fragen sind wir gespannt. Die Antworten kennen wir schon. Christoph Heinzle
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