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Routinierter Klatschmarsch

2. Bundesliga: MSV Duisburg–Fortuna Köln 2:0/ Nur mühsam erwachen die beiden Teams aus dem Fußball-Winterschlaf  ■ Aus Duisburg Christoph Biermann

Seit vor einigen Jahren die studentische Welt zur Universiade im Duisburger Wedaustadion zu Gast war, ist dort ein merkwürdiges Fußball-Ritual zu beobachten. Wann immer sich ein MSV-Spieler einen Eckball oder Freistoß zurechtlegt, erscheint auf der zum Weltsportfest der Studenten angeschafften Anzeigetafel eine Animation. Zwei groß skizzierte Formen, die man gutwillig als Hände identifizieren mag, bewegen sich langsam aufeinander zu, um, kurz bevor sie sich berührt zu haben scheinen, blitzartig wieder zurückzuschnellen. Des Rätsels Lösung verrät freundlicherweise ein blinkender Schriftzug: „Rhythmisches Klatschen!!“

Und alle machen mit. Zunächst etwas schwermütig, in den Anlauf des jeweiligen MSV-Kickers hinein aber beschleunigt und voller Hoffnung, direkt in Torjubel umschwenken zu können. So ist der MSV Duisburg vor zwei Jahren in die Bundesliga aufgestiegen, war dort eine Halbsaison lang mit seiner Oldietruppe um Lienen, Woelk, Ljuty, Macherey und Tönnies jedermanns Liebling und stieg am Ende unglücklich ab. Immer begleitet vom hoffnungsfrohen Klatschmarsch.

Doch in dieser Saison klatscht es sich müde an der Wedau. Die Alten sind im Ruhestand oder verkauft. Zwölf neue Spieler für insgesamt drei Millionen Mark sind gekommen, zuletzt Torjäger „Cobra“ Wegmann von Borussia Dortmund. Die Mannschaft steht zwar beharrlich auf einem der Aufstiegsplätze oder ganz in ihrer Nähe, jetzt wieder auf Rang zwei hinter dem SC Freiburg, der mit dem 1:0 bei Hannover 96 wieder ohne Verzug in die Erfolgsspur des letzten Jahres einschwenkte. Trotz der Siege hält das Duisburger Publikum den Jubel jedoch flach.

Daran mochte auch der Sieg im Spitzenspiel gegen Fortuna Köln nichts ändern und nicht einmal die Tatsache, daß „Premiere“ diese Partie zu einem fernsehhistorischen Ereignis machte: Zum ersten Mal wurde in Deutschland eine Zweitligapartie live im Fernsehen übertragen. Doch was mochten die vielen Kameras in Echtzeit und Superzeitlupe eingefangen haben? Blicke durch fliegende Objektive auf Pässe ins Leere? Feingenaue Rekonstruktionen von Anspielen in den Lauf des Gegners? Zudem war es nicht besonders geschickt, gerade ein Spiel mit Beteiligung des SC Fortuna Köln auszuwählen. Der diesjährige Aufschwung der in Köln gemeinhin komplett ignorierten Mannschaft ist nämlich so charismatisch wie die Tennissiege eines Michael Stich.

Von frischem Bundesligaglanz in der Zweitligahütte war nichts zu merken. „Cobra“ Wegmann bevorzugte noch die Politik der kurzen Wege, während Bernhard Winkler, ebenfalls erst in der Winterpause von Kaiserslautern nach Köln gekommen, freigiebigen Umgang mit Torchancen vorführte.Welches Team erwacht besser aus dem Winterschlaf? Lange Zeit schien es so, als ob diese Frage der Stadionzeitung mit einem deutlichen „Keines von beiden!“ zu beantworten sei. Doch dann trafen nach 53 Minuten Westerbeek und Tarnat innerhalb von sechzig Sekunden, und zwanzig Minuten lang wurde es ein gutes Spiel mit richtigen Dribblings, echten Kombinationen und ganzen Torschüssen.

Warum das alles so war, konnte Duisburgs Trainer Uwe Reinders erklären. Der heldenhaft letzte „HB“-Raucher, der im schönsten Ruhrgebietsidiom immer von „Fußball“ und „Siech“ zu sprechen pflegt, verwies auf den Bewußtseinsstand seiner Spieler. „Die haben zuviel mit sich selbst zu tun. Wir wollen und müssen aufsteigen. Und dann wissen sie nicht, wie es weitergeht, ob sie bleiben können oder nicht.“ Und weil das eben schwer ist, noch nicht zusammengewachsen ist, was zusammengehört, und zudem die geistige Mitte gestandener Routiniers fehlt, bleibt es im Wedaustadion oft beim Routineklatschen.

Mein Freund Kurt hat diesem Ritual, an dem er sich selbstverständlich immer beteiligt, noch ein sehr privates hinzugefügt. Nach jedem Heimsieg erweitert er seine eh schon sehr umfangreiche Sammlung von MSV-Devotionalien um etwas Neues. Nach müden Pflichtsiegen ist das nur ein Pilsglas mit Vereinsemblem oder ein Badetuch. Beides besitzt er inzwischen schon in mehrfacher Ausführung. Nach dem Sieg im Spitzenspiel erwarb er einen türkisfarbenen Slip mit einem lachenden MSV-Zebra über dem Ort seiner Männlichkeit. Wenn alles gutgeht, gibt es zum Wiederaufstieg den handbemalten Seidenschlips für 49,50 Mark. Christoph Biermann

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