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■ Mit der Smogverordnung auf du und duIm Osten lieber ohne

Greiz (taz) – Zum Beispiel Greiz: Die Thüringer Stadt, die sich gerne „Perle des Vogtlandes“ nennt, strebt seit Tagen nach dem weniger schönen Ruhm, dreckigste Stadt der Bundesrepublik zu werden. Als das neue Bundesland Thüringen vor zwei Jahren seine Smogverordnung veröffentlichte, konnte Greiz noch keine Sperrzonen für den Autoverkehr ausweisen. Erst ein Jahr später reichte die Gemeinde eine entsprechende Karte nach. Sie gilt nun seit letztem Dezember.

Aber 72 Stunden lang mußte eine übel stinkende Ruß- und Dunstglocke über der Stadt liegen, bis am Donnerstag, dem 4.Februar 1993, ab 13.30Uhr schließlich doch vom zuständigen Landesverwaltungsamt in Weimar die Smogalarmstufe II ausgerufen wurde. Nur wußte niemand so recht, was damit gemeint sein könnte. Die Kommunalpolitik hatte sich mit vorbereitenden Informationen (auch an die Presse) für den Bedarfsfall bis jetzt sehr zurückgehalten. Sie schiebt die Smogbelastung zudem vorrangig auf die häuslichen Braunkohleöfen, vermutlich, weil die Meßstellen nur SO2-Werte messen können, Stickoxide dagegen nicht. Sie wären wichtig, denn sie dünsten aus Auspuffen der Autos, und im Talkessel von Greiz kreuzen sich zwei vielbefahrene Bundesstraßen.

Als die Polizei nun erstmals Verkehrskontrollen einrichtete, um das eingeschränkte Fahrverbot zu überwachen, wachten die verträumten Kleinstädter auf. Ihre Ahnungslosigkeit war grenzenlos: Verbale Attacken gegen die Ordnungshüter waren die Regel, es kam auch zum Durchbrechen von Absperrungen, bei dem sich ein Beamter nur durch Hechtsprung hatte retten können.

Die Regionalpresse wettert auf die Haltung der Stadtoberen, regt sich über die Folgen auf, aber niemand kam bislang auf die Idee, aufklärend für eine Einschränkung des Individualverkehrs zu werben. Man fährt hemmungslos weiter durch die verwinkelte Altstadt, verkehrsberuhigte Zonen sind Fremdworte und ein marktwirtschaftlich zusammengestrichener, öffentlicher Nahverkehr tut ein übriges.

Bezeichnend für das Verständnis der Kommunalpolitiker ist eine Äußerung des vormaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden und jetzigen Landrates Jens Geißler: „Was nützt eine intakte Umwelt, wenn die Leute hier keine Arbeit haben?“ Michael Rudolf

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