Sanssouci: Vorschlag
■ „Volksfeind“ Schostakowitsch
„Es spielt der Volksfeind Schostakowitsch.“ So hieß es, nicht gerade werbewirksam, in einer Konzertankündigung von 1936. Ein gutes Jahr später sah dann alles ganz anders aus: „Schostakowitsch hat uns eine Sinfonie von klassischer Vollendung, ethisch erhaben und im besten Sinne des Wortes menschlich, geschenkt.“ (Ein sowjetischer Kritiker über die 5. Sinfonie.) Da es sich aber um Rhetorik der staatlichen Kulturpolitik in der UdSSR handelt, darf man sich über derartige Kapriolen nicht allzu sehr wundern. Bekanntlich ist sie dermaßen widersprüchlich und paradox, daß man mit allem möglichen und unmöglichen rechnen muß – vor allem die Betroffenen.
Schostakowitsch bekam 1936 den staatlichen Druck zum ersten Mal mit voller Wucht zu spüren. Er traf ihn völlig unvorbereitet und ließ ihn zeitweilig um sein Leben fürchten. Dank der Zufälligkeiten der unterschiedlichen Konzertplanungen bietet sich nun diese Woche die seltene Gelegenheit zu einem Vergleich: Heute ist der „Volksfeind“ Schostakowitsch zu hören (und zwar die „5 Fragmente für Orchester“ op. 42 von 1935 als Programmpunkt im Konzert der Cappella Academica unter Sebastian Krahnert); und am Donnerstag präsentiert das Orchester der Komischen Oper unter Yakov Kreizberg (u.a.) die 5. Sinfonie, deren Uraufführung die Position des Komponisten grundlegend veränderte (jedenfalls vorübergehend, bis sich 1948 das Schauspiel ganz ähnlich wiederholte).
Der Anlaß für den Schlag von oben ist ebenso unglaublich wie das darauf folgende Schauspiel jämmerlich. Die Schostakowitsch-Oper „Lady Macbeth“ war jahrelang Publikumsmagnet und von der offiziellen Kritik einhellig gelobt. Doch unglücklicherweise verirrte sich Stalin Anfang 1936 in Begleitung einiger Hofschranzen in eine Aufführung – und war aufs unangenehmste berührt. Disharmonisch, chaotisch, pornographisch, verdreht, fallsüchtig – das waren die Attribute für diese Musik.
Auf den Wink von oben ging das Weitere seinen sozialistischen Gang: Konferenzen wurden einberufen, linientreue Komponisten und Funktionäre fielen über Schostakowitsch her, die angeblich desolate Situation im Bereich Musik der UdSSR wurde einer allgemeinen Kritik unterzogen. Zuletzt wurden alle Musiker auf den Sozialistischen Realismus eingeschworen, Schostakowitsch räumte Fehler ein, gelobte Besserung – und tauchte dann etwas ab. Da er aber zu einer entscheidenden Stiländerung nicht bereit sein konnte, mußte er die Etikette verändern. Programmusik war gefragt, also „das Werden der Persönlichkeit... konfliktgeladene Tragik... lebensbejahende Freude“.
Stiländerung oder nicht, für Schostakowitsch ist es ein entscheidendes Jahr. Der Vergleich der Konzertsaalrarität „5 Fragmente“ mit der 5. Sinfonie verdeutlicht seine künstlerische Entwicklung; fast muß man den diktatorischen Behörden für ihr Engagement dankbar sein. Helmut Krähe
Di., 9.2. 20 Uhr, Audimax der Humboldt-Uni, Unter den Linden; Do., 11.2. 20 Uhr, Komische Oper, Behrenstraße
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen