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Dornröschenschlösser im Revier

■ Ein "Gesamtkunstwerk" nimmt Konturen an: Die Internationale Bauausstellung Emscherpark verändert das Gesicht einer Region. Aus dem Ruhrgebiet Walter Jakobs

Seltsam anmutende Kreise und Linien wird der Gelsenkirchener Landwirt Stricker im nächsten Jahr auf seinen Stoppelfeldern ziehen. Mal werden seine Bwegungen mit der Fräse spiralförmige Gebilde entstehen lassen, dann wieder wird der Pflug schnurgerade geometrische Markierungen setzen. Danach folgen farbige Aussaaten, die dem im Grenzbereich zwischen Gelsenkirchen, Bochum und Essen liegenden Acker während der Bewirtschaftungspausen ein neues Gesicht geben werden. Bauer Stricker verwandelt sein Land in ein „Gesamtkunstwerk“. Die Idee stammt von Peter Lörincz, bildender Künstler und Grafikprofessor an der Uni Mainz, der durch die geometrischen Gebilde „Sehprozesse für Landschaftsformen aktivieren“ will. Fußpunkte in der Landschaft, die sich als Verweil- und Sehstationen anbieten, Lörincz nennt sie „Videotope“, sie werden dem Betrachter überraschende Perspektiven eröffnen. Bauer Stricker macht mit, weil „der Künstler nichts geplant hat, was nicht geht“. Die ästhetische Inszenierung seines 900 mal 600 Meter großen Ackers gehört zu jenen Projekten, die die Internationale Bauausstellung Emscherpark (IBA) während der Zwischenpräsentation 1994/95 vorstellen will.

120 Kilometer Wanderwege sollen entstehen

Das von Bauer Sticker bewirtschaftete Land liegt am Mechtenberg, auf dessen bewaldeter Kuppe sich ein Bismarckturm geheimnisvoll hinter Dornen und Brombeersträuchern versteckt. Der 84 Meter hohe „Berg“ zählt zu den ganz wenigen natürlichen Erhebungen im Kernbereich des Reviers, aus dessen flacher Landschaft ansonsten nur dem Steinkohlebergbau geschuldete, künstlich aufgeschüttete Halden in den Himmel ragen. Das gesamt Areal rund um den aus voreiszeitlichen Ruhrschottern bestehenden Mechtenberg geht ein in den IBA-Landschaftspark, der sich am Ende von Duisburg bis Kamen quer durchs nördliche Revier ziehen soll. 320 Qudratkilometer vorhandene Grün- und Freiflächen will die IBA sichern, ausbauen und regional verbinden. An einigen Stellen wird die knapp 70 Kilometer lange Verbindungsachse nur wenige hundert Meter, manchmal aber auch bis zu 13 Kilometer breit sein. Das dann zusammenhängende Band von Frei- und Grünflächen gewährt den Fahrradenthusiasten einen 240 km langen Rundweg und den Fernwanderern 120 Kilometer lange Wanderrouten. Hinzu kommen Dutzende kleinerer Wegeschleifen im unmittelbaren Nahbereich der beteiligten Städte.

Jetzt soll der Mechtenberg als ein Mosaikstein dieses gigantischen Parkgebildes durch landschaftspflegende und ästhetische Maßnahmen wieder als Berg sichtbar gemacht werden. Bauer Stricker beteiligt sich, „weil hier 20 Jahre lang nichts getan wurde“. Der Landwirt erwartet eine „bessere Begehbarkeit“ und hofft, „daß die Landschaft nicht übermäßig belastet wird“. Ein bißchen mitreden dürfen auch die Anwohner. Ute Köster vom Bürgerverein Essen-Kray war schon während des viertägigen Entwurfsseminars im vergangenen Sommer dabei. Manches, was die Künstler, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner jetzt vorgelegt haben, „erschreckt“ sie. Vor allem die Vorstellungen des Schweizer Landschaftsarchitekten Dieter Kienast stießen bei einer Diskussion auf zum Teil scharfe Ablehnung.

Kienast nennt sein Projekt „Dornröschenschlösser“. Die Idee entstand an einem warmen Sommertag auf der von Brombeersträuchern zugewachsenen Bergkuppe: „Ich hab' mich da hingelegt, und dann kam mir das Märchen vom Dornröschen in den Sinn.“ Kienast will das besondere des Berges in „der unendlich ausgebeuteten Revierlandschaft“ durch ein Arrangement von „Dornröschenschlössern“ betonen. Er will „Orte in die Landschaft legen, die jeglicher Nutzung entzogen werden“. Die Poesie dieses Konzeptes beeindruckte zunächst auch die Anwohner, doch die geplante Umsetzung findet nicht nur Ute Köster „erschreckend“. Drastisch die Reaktion von Landwirt Stricker: „Wer so was baut, der hat 'nen Rad ab.“

Kienast will mindestens sechs „Dornröschenschlösser“ an verschiedenen „Merkpunkten“ des Areals bauen. Dabei schwebt ihm ein in weiten Teilen kreisförmiges, drei Meter hohes, nach oben offenes nicht begehbares Bauwerk mit einer Grundfläche von 400 Quadratmetern vor, in das man von außen nur durch schlitzartige Fenster hineinsehen kann. Durch diese Fenster „kann man dann sehen, was die Natur tut, wenn man sie in Ruhe läßt“.

Für Karl Ganser, geschäftsführender Direktor der IBA, „ist klar, daß die Dornröschenschlösser so nicht gebaut werden“. Der Entwurf erinnert den IBA-Chef an „ein Pumpenhaus der Emscher“, aber die Grundidee findet er toll, weil der Dornröschenansatz zu spannungsreichen Diskussionen führen werde. In der Mauer oder dem Zaun sieht er ein Vehikel, „um den Schutzgedanken in die Köpfe der Menschen zu hämmern“.

Ganser will keine „Verhübschung“ des Gebietes, sondern eine Gestaltung, die die Besonderheiten der Landschaft aufnimmt und verstärkt. Tatsächlich stoßen sich im Bereich des Mechtenbergs – wie an vielen Stellen im Revier – die Extreme. Wer die B1/A430, die zentrale Verkehrsader des Reviers, in Richtung Gelsenkirchen verläßt, der trifft auf von Abwasserkanälen, Bahngleisen, Straßen und Hochspannungsleitungen durchschnittene landwirtschaftliche Flächen. Nähert man sich dem Fuße des Mechtenberges, liegt auf der einen Seite ein Industriegebiet und an anderer Stelle ein durch Bergsenkungen geschaffenes Feuchtgebiet. Kaum ein paar hundert Meter weiter schließt sich eine 40 Hektar große, inzwischen zuplanierte ehemalige Deponiefläche an. Wer hier Landschaft gestalten will, ist zu Kompromissen verdammt.

Ein besonders schwieriges Feld stellen die Altlasten dar. Der für das Wegesystem zuständige Essener Stadtplaner Thomas Winter sagt es so: „Altlasten tasten wir nicht an.“ Im Zweifelsfall werden die Flächen versiegelt, nicht saniert. „Es wird einige schwierige, nicht sanierte Stellen geben“, räumt Karl Ganser ein. Wenn das Gefährdungspotential abschätzbar bleibe, sei es verantwortbar, belastete Flächen zunächst „liegen zu lassen und drumherum zu bauen“. Der „pragmatische“ Umgang mit Altlasten ist geradezu typisch für Gansers Problemlösungsstrategie. Er will sich „nicht verkämpfen“, sondern auf das konzentrieren, „was geht“. Dabei setzt der 55jährige Sozialdemokrat auf den Nachahmeffekt bespielhafter Projekte. Von konfrontativer Politik hält Ganser, einst unter SPD-Minister Zöpel als Abteilungsleiter im Düsseldorfer Verkehrs- und Städtbauministerium tätig, wenig. Der promovierte Biologe und Inhaber eines Lehrstuhls für Planung an der TU München, glaubt nicht, daß sich Menschen ihre „generellen Maßstäbe abstrakt ausreden lassen“. Bewegung nach vorn will er durch Kooperation mit den Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Verwaltung erzeugen, denn „es gibt schon zu viele Institutionen und Personen, die sich vor allem um das kümmern, was nicht geht, und so Gegner geradezu produzieren“. Auf öffentliche Attacken gegen Personen oder Institutionen wartet man bei Ganser vergeblich. Selbst zu ökologisch höchst zweifelhaften, ja widersinnigen Pojekten, wie zu dem von der VEBA AG in Gelsenkirchen geplanten Bau eines Kohlegroßkraftwerkes, schweigt der Mann, der mit seiner Internationalen Bauausstellung „zukunftsweisende Impulse für den ökologischen, ökonomischen und sozialen Umbau“ des nördlichen Reviers geben will. Bürgerinitiativen und Bürgerprotest hält Ganser für wichtig, aber „es macht keinen Sinn, die IBA als Oberbürgerinitiative zu begreifen“.

Bei vielen Initiativen und bürgerschaftlichen Gruppen, die sich im Verein „IBA von unten“ organisiert haben, hat die von der Düsseldorfer Landesregierung 1988 aus der Taufe gehobene Bauausstellung ihren anfänglichen Kredit inzwischen zum Teil verspielt. Ökologische Blauäugigkeit, mangelnde Bürgerbeteiligung und eine sozial unausgewogene Wohnungspolitik, lauten nur einige der Kritikpunkte.

Im Rahmen der IBA werden rund 2.800 neue Wohnungen gebaut und 3.000 weitere modernisiert. 1999 schließt die IBA ihre Pforten – doch der Umbau geht weiter. Manche Projekte – wie etwa die Renaturierung der sich durchs nördliche Revier ziehenden Abwasserkloake Emscher – werden sich bis weit ins nächste Jahrtausend hineinziehen. Insgesamt sei man „gut in der Zeit, viel weiter, als wir es uns 1989 vorgestellt haben“, sagt Ganser.

Seit 1989 hat die IBA nach Auskunft des IBA-Prokuristen Gerhard Seltmann rund zwei Milliarden Mark bewegt. Vom Land flossen etwa 800 Millionen, aus Bundes- und EG-Töpfen kamen noch einmal 700 Millionen hinzu und 500 Millionen Mark investierten nach dieser Rechnung private Unternehmen in IBA-Projekte, vor allem im Wohnungsbereich.

Das größte zusammenhängende Wohnungsbauvorhaben entsteht auf dem Gelände der ehemaligen Zeche „Prosper III“ in Bottrop. Bagger und Planierraupen beackern die 26 Hektar – ungefähr 30 Fußballfelder! – große Brache. Plattgewalzter heller Sand verbreitet sich auf dunklem Grund. Aus dem flachen Gelände erhebt sich ein etwa 12 Meter hoher Hügel. „Monte Belasto“, nennt der Volksmund das aus zusammengeschobenen kontaminierten Böden bestehende künstliche Gebilde. Mit wasserundurchlässigem Kulturboden abgedeckt, zerteilt der „Berg“ das Areal. Hundert architektonisch reizvolle Reihenhäuser, von deren Dächern das Regenwasser nicht mehr in die Kanalisation, sondern über Rückhaltebecken in einen renaturierten Bach fließen soll, sind hier geplant. Geheizt werden die mit möglichst umweltfreundlichem Material gebauten 400 Wohnungen durch Fernwärme. Gründerzentrum, Gewerbepark und Erholungsbereich kommen hinzu und sollen „Arbeiten und Wohnen im Park“ möglich machen. Für die beteiligten Planer stellt der „wie unter einer Käseglocke“ gelagerte Boden keine Gefahr mehr dar. Ganser hält die Sanierung der Altlasten auf Prosper III für „geklärt und gesichert“. Die behauptete Sicherheit werten die örtlichen Grünen als trügerisch. Sie warnen die künftigen Bewohner schon heute vor der versprochenen Gartennutzung.

Heftiger Streit um Altlasten

Der Streit um die Altlasten steht der IBA noch an vielen Stellen bevor. Manche Sünde der Vergangenheit läßt sich vom künftigen grünen Gewand des Emscherparks wohl nur verschämt bedecken. Auch in der Umgebung des Mechtenbergs gibt es Verdachtsflächen. „Wir durften bisher nicht bohren“, sagte ein Vertreter der Stadt Gelsenkrichen beim Gespräch mit den IBA-Planern. Da man aber keine Wege über Flächen führen dürfe, deren Beschaffenheit man nicht kenne, sei die Planung fraglich. Den Landschaftsarchitekten schrieb der Abgesandte der Stadt dies ins Stammbuch: „Wir haben hier Gesetze zu vollziehen, und daran hat sich auch die IBA zu orientieren.“

Nun, an diesem Einwand wird der Landschaftspark nicht scheitern. Wie auch immer der Streit um „Dornröschenschlösser“, um „Videotope“ und Altlasten ausgeht, auf der Kuppe des Mechtenbergs wartet ein phantastischer Ausblick. Das Revier von oben, eine Landschaft der fundamentalen Gegensätze, nicht nur für Landschaftsarchitekten wie dem Schweizer Dieter Kienast „in dieser extremen Ausformulierung und Dramatik höchst spannend“.

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