: Unbefristeter Ausnahmezustand
Ein Jahr nach ihrer Machtergreifung hat die algerische Junta die Notstandsgesetze auf unbestimmte Zeit verlängert/ Die Islamische Heilsfront hat zum bewaffneten Kampf aufgerufen ■ Aus Kairo Khalil Abied
Genau zwei Tage vor Ablauf des zunächst für ein Jahr verhängten Ausnahmezustandes hat die algerische Führung die Notstandsgesetze für unbestimmte Zeit verlängert. Dies teilte der fünfköpfige „Hohe Staatsrat“ am Sonntag mit. Nach der algerischen Verfassung hätte es dazu wenigstens der Zustimmung des Parlaments bedurft. Dieses wurde aber vor einem Jahr mit der Verhängung des Ausnahmezustandes aufgelöst. Vom Protest der Oppositionsparteien ließ sich das durch einen Coup Anfang letzten Jahres an die Macht gekommene Regime nicht weiter stören. Seit dem erzwungenen Rücktritt von Staatspräsident Chadli Bendjedid waren ohnehin nur wenige Schritte der Regierung mit der algerischen Verfassung in Einklang zu bringen.
Bedeckt hielt sich bei ihrer Stellungnahme zum unbefristet verhängten Notstand nur die FLN, die das Land seit der Unabhängigkeit in Alleinherrschaft regierte, bis sie in den abgebrochenen ersten freien Parlamentswahlen 1990 eine verheerende Niederlage einstecken mußte. Sie forderte artig eine stufenweise Aufhebung der Notstandsgesetze und kritisierte im Unterschied zu den Oppositionsparteien nicht die Verfassungswidrigkeit des Ausnahmezustandes.
Der Beschluß zeigt, daß sich die herrschende Gruppierung um Staatsratschef Abdel Salam Belaid auf unbestimmte Zeit in der Staatsführung einzurichten gedenkt. Sie stützt sich dabei auf die Armee, die seit dem Putsch damit beschäftigt ist, die eigentliche Gewinnerin der abgesetzten Parlamentswahlen, die „Islamische Heilsfront“ (FIS), mit allen Mitteln zu zerschlagen.
Für das algerische Regime gibt es neben der Bekämpfung der FIS derzeit vor allem eine Priorität: die marode Wirtschaft des ruinierten Maghrebstaates wieder anzukurbeln, wobei sie dem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland, vor allem zu den USA, große Bedeutung beimißt. Das hat zu Spannungen mit dem kolonialen „Mutterland“ Frankreich geführt, da Paris bislang eine politische Sonderrolle in Algerien beansprucht. Beim Besuch des französischen Außenministers Dumas Anfang Januar wurde jedoch zumindest ein Teil dieser Differenzen ausgeräumt. Frankreich versprach französische Investitionen. Als Gegenleistung stimmte Belaid einem französischen Umschuldungsplan zu. Das Land hat 33 Milliarden Dollar Auslandsschulden, die meisten bei Frankreich.
Aus inoffiziellen Quellen verlautete jedoch, das wichtigste Ergebnis der Gespräche sei das Versprechen von Dumas gewesen, in Zukunft jede Unterstützung der „Islamischen Heilsfront“ zu unterlassen. Paris hatte wiederholt versucht, diese Karte zu spielen, zum einen, weil eine Konsolidierung des Landes ohne die populärste politische Kraft in Algerien unmöglich schien, zum anderen in der Hoffnung, die amerikanisch-algerische Annäherung zu verhindern.
Trotz ihres erbarmungslosen Vorgehens ist es der algerischen Armee und Polizei seit dem Putsch nicht gelungen, die angestrebte Friedhofsruhe in Algerien herzustellen. Vielmehr werden die „Sicherheitskräfte“ beinahe täglich durch Anschläge bewaffneter islamistischer Untergrundkämpfer gegen staatliche Einrichtungen in Atem gehalten. Nach Informationen der algerischen Menschenrechtsorganisation ONDH wurden bei diesen Auseinandersetzungen seit Verhängung des Ausnahmezustandes 600 Menschen getötet, 250 von ihnen waren Mitglieder von Polizei und Militär.
Der zweite Mann der FIS, Ali Belhadj, der sich wiederholt gegen bewaffnete Aktionen ausgesprochen hatte, gab im Gefängnis eine „Fetwa“ heraus, in der die algerischen Jugendlichen aufgefordert werden, sich den bewaffneten Gruppen der FIS anzuschließen. Jeder gläubige Moslem müsse gegen das Regime kämpfen. Das FIS-nahe Bulletin Al-Abd teilte mit, alle bewaffneten Gruppierungen hätten sich unter der Führung von Abdel Qadir Al Schabuta zusammengeschlossen. Sie operieren von einer Gebirgsregion aus, die schon der FLN als Basis im antikolonialen Kampf gedient hat.
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