■ Das Portrait
: Rosetta Cutolo

hier Foto Nr. 3

Foto: Reuter

Sie ist natürlich vor allem im Ausland „das“ Thema: Domenica Rosa, genannt „Rosetta“, Cutolo, 56, ist verhaftet worden. 13 Jahre war die Schwester des verurteilten Bosses der „Nuova Camorra Organizzata“ (NCO), Raffaele „Rafele“ Cutolo, untergetaucht. Die Agenturen überschlugen sich: Sie sei es gewesen, die die NCO organisiert und zusammengehalten habe, auch wenn ihr Bruder im Knast die richtigen Leute rekrutiert und Anweisungen für deren Einsatz gegeben habe.

Tatsächlich kann die Frau an der Spitze als Sensation nur für jemanden gelten, der sich nie mit der Camorra befaßt hat. Im Gegensatz zu den rein männerbündlerischen Mafiosi sahen die Camorristen in ihren Frauen, Schwestern, Freundinnen oder Müttern schon immer nahezu gleichberechtigte Mitstreiterinnen. Wenn Männer verhaftet wurden, traten die Frauen an ihre Stelle und führten den Clan. Als in den späten 70er Jahren Raffaele Cutolo die letzten Reste gegnerischer Gruppen beseitigen wollte, begann eine junge Frau, der man den Freund weggeschossen hatte, den Widerstand gegen die NCO zu organisieren. Die von Pupetta Maresca gegründete „Nuova famiglia“ versetzte dem Imperium die entscheidenden Schläge.

Damit begann auch für Rosetta Cutolo der Abstieg. Sie hatte sich bedingungslos an die Seite ihres Bruders gestellt und auf eine Ehe verzichtet, war Ende der 70er Jahre geflüchtet, hatte Eisenbahnattentate organisiert, den Rauschgifthandel mit Übersee geleitet und vor allem die Investitionen der gigantischen Einnahmen vorgenommen.

Daß sie nun verhaftet werden konnte, ist wohl der letzte Akt schwesterlicher Liebe. Der Bruder, dem die Gegner bereits allerlei Verwandte und zuletzt auch seinen einzigen Sohn ermordet hatten, hatte immer häufiger Selbstmordgedanken. „Ich habe das Gefängnis satt, besser der Tod“, sagte er vor zwei Wochen während eines Prozesses – es war wohl das Schlüsselwort für die Schwester zur Aufgabe. Als die Carabinieri an die Tür ihres Hauses bei Neapel klopften, öffnete die Frau Cutolos, und auf die Frage, ob Rosetta da sei, rief diese von hinten: „Eccomi“, da bin ich, zog einen Mantel über und äußerte nur noch eine Bitte: in ein sicheres Gefängnis gebracht zu werden, um nicht auch von den camorristischen Mordgesellen der anderen Seite bedroht zu sein. Werner Raith