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Jelzin beugt sich der Opposition

■ Nach einem Treffen mit Vertretern der autonomen Gebiete Rußlands schlägt Jelzin einen politischen Burgfrieden und vorgezogene Wahlen vor/ Verfassungsreferendum wahrscheinlich vom Tisch

Moskau (dpa/taz) — Der russische Präsident Boris Jelzin hat sich dem massiven Druck der Gegner des für April geplanten Verfassungsreferendums gebeugt: Er schlug am Dienstag einen politischen Burgfrieden für dieses Jahr vor und will damit offenbar auf den Volksentscheid verzichten.

Jelzin erklärte sich außerdem mit vorgezogenen Wahlen des Parlaments im Frühjahr 1994 und des Präsidenten im Frühjahr 1995 einverstanden. Weiter schlug er ein öffentliches Gespräch mit dem Parlamentspräsidenten Ruslan Chasbulatow, dem Wortführer der Opposition, und dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Waleri Sorkin vor.

Ausschlaggebend für Jelzins Einlenken scheint der Widerstand der Chefs der 16 autonomen Republiken in der Russischen Föderation gewesen sein, die am Dienstag zu Beratungen über die Volksabstimmung über die Grundlagen der Verfassung zusammengekommen waren.

Jelzin schlug Sorkin und Chasbulatow, die sich bereits für eine Verschiebung des Referendums stark gemacht hatten, ein Treffen vor. „Am besten vor Fernsehkameras, um dem russischen Volk zu sagen: Wir haben keine Meinungsverschiedenheiten. Für 1993 ist ein Moratorium für alle politischen Streitigkeiten notwendig“, sagte Jelzin, „damit wir uns völlig der Wirtschaft widmen können.“

„Das Referendum ist kein Selbstzweck, wenn wir eine wirklich sichere und effektive Lösung der Probleme finden“, erklärte der russische Präsident. „Dann wäre es unvernünftig, diese Vorschläge (für eine Einigung) abzulehnen.“

Der Präsident hatte die Volksabstimmung angestrebt, um den das Land lähmenden Machtkampf mit dem Parlament zu beenden. Er sei noch einmal bereit, seinen politischen Gegnern die Hand zu reichen, betonte Jelzin. „Ich persönlich bin zum Dialog und zur Suche einer Lösung bereit.“

Sollten die Verhandlungen über eine Beendigung des Machtkampfs und eine klare Gewaltenteilung scheitern, werde er an der Idee einer Volksabstimmung festhalten, sagte Jelzin. Es bestehe die Gefahr einer Rückkehr der allmächtigen kommunistischen Sowjetmacht. Um dies abzuwenden, sei das Referendum notwendig geworden. Er werde jedoch nicht mit aller Entschiedenheit auf dessen Durchführung bestehen, sagte Jelzin, wenn eine Schlichtungskommission eine für alle Seiten annehmbare Lösung ausarbeite. Er sei bereit, diese Kommission einzuberufen.

Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Sorkin, erklärte sich mit der Bildung der Schlichtungskommission am Dienstag einverstanden. Sie müsse Garantien für eine Stablisierung der politischen Lage festlegen. Er rief am Dienstag im Namen des obersten russischen Gerichts den Präsidenten, das Präsidium und den Vorsitzenden des Parlaments noch einmal auf, das Referendum angesichts der politischen und wirtschaftlichen Krise zu verschieben. Eine überwältigende Zahl russischer Politiker habe sich mit dieser Bitte an das Verfassungsgericht gewandt.

Am Morgen hatte Jelzin die Sitzung mit den Chefs der russischen Teilrepubliken verlassen. Er habe sich mit den Regionalpolitikern nicht über das Referendum geeinigt, teilte der Sprecher des Präsidenten, Wjatscheslaw Kostikow mit. Weder hätten die Republikschefs mit Jelzin übereingestimmt, noch hätten sie untereinander eine gemeinsame Position gefunden, sagte Kostikow.

Vor der gestrigen Entscheidung Jelzins hatte bereits der russische Vizepräsident Alexander Rutskoj Bedenken über den geplanten Zeitpunkt der Volksabstimmung geäußert. Er räumt jedoch immerhin ein, daß eine neue Konstitution dem Lande bitter not tue. Bisher verfügte der Kongreß der Volksdeputierten über gewisse verfassunggebende Vollmachten, erwies sich aber zunehmend als handlungsunfähig.

Schärfster gegenr des referendums war jedoch Parlamentspräsident Chasbulatow gewesen. Daß er eigentlich nichts dagegen habe, im alten Geleise weiter zu fahren, daran hat er in letzter Zeit nie einen Zweifel gelassen. Während er noch letzte Woche giftig vorschlug, man solle als einen der im Referendum abzustimmenden Punkte die Forderung nach gleichzeitiger vorgezogener Neuwahl des Parlamentes und des Präsidenten Rußlands aufnehmen, konstatierte der Speaker am Montag auf einem Fortbildungsseminar für Volksdeputierte aller Ebenen: „Für ein Referendum über die Grundlagen einer Verfassung ist jetzt nicht die Zeit“.

Mit der heutigen Entscheidung haben nun nicht mehr nur der Parlamentspräsident und das Verfassungsgericht, sondern auch der Präsident selbst den im Dezember erzielten Kompromiß verlassen. Mit ihm wollte Jelzin ursprünglich versuchen, einen Ausweg aus der endlosen Patt-Situation zwischen der reformfreudigen Regierung und dem noch aus Zeiten der KPdSU-Herrschaft stammenden Parlament eine Volksabstimmung über die radikale Frage vorgeschlagen hatte: „Wem sprechen Sie Ihr Vertrauen aus, dem Präsidenten oder dem Parlament?“

Im gegenwärtigen Referendumsentwurf war daraus eine für die meisten Russen wohl eher abstrakte Frage über den Charakter der Staatsmacht geworden: ob eine parlamentarische oder eine präsidiale Demokratie vorzuziehen sei. Ausgearbeitet werden soll die neue Verfassung auf Vorschlag der Referendumskommission von einer konstituierenden Versammlung.

Zu den letzten Befürwortern des Referendums dürfte nun noch allein die Bewegung „Demokratisches Rußland“ gehören. Ihren Delegierten hatte noch am Wochenende Sergej Filatow, der Leiter der Administration des Präsidenten, die ungebeugte Haltung Jelzins versichert: „Der Präsident beharrt auf der Position des Referendums, das Problem der Form der Staatsmacht ist für ihn von allerhöchster Bedeutung: ob Rußland eine präsidiale oder eine parlamentarische Republik werden soll.“ Und in Anspielung auf einige Prügelszenen während der letzten Tagungsperiode des „Rates der Volksdeputierten“ fügte er hinzu: „Wenn man die Radaubrüder nicht während der Sitzungen zur Raison bringen kann, dann muß dies eben das Volk mit seinem Referendum tun.“ b.k.

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