Ich höre Kritik sehr gern

Mariam Niroumand sprach mit Berlinalechef Moritz de Hadeln über die Zukunft des Festivals  ■ 

taz: Herr de Hadeln, wie beurteilen Sie die Position der Berlinale neben den Festivals in Venedig und Cannes?

de Hadeln: Das Berliner Festival ist das einzige Großstadtfestival und es richtet sich nicht nur an ein Fachpublikum wie Cannes, sondern auch an Menschen, die nicht aus der Filmbrache sind. Außer der Berlinale gibt es kein Festival im Winter. Berlin als Stadt bringt einige Besonderheiten des Festivals mit sich: Es ist eine Universitätsstadt, das Publikum ist jung und anspruchsvoll.

Was mich manchmal ein bißchen stört ist, wenn Leute von der Berlinale als einem ' Arbeitsfestival–sprechen, davon, daß uns der Glamour fehlt. Das stimmt so nicht, speziell nicht in diesem Jahr. Aber trotzdem hat die Sache bei uns einen anderen Ton: Man möchte mehr über die Filme diskutieren, man ist sensibler dem Inhalt gegenüber. Ein Beispiel: Viele haben sich darüber aufgeregt, daß wir letztes Jahr „Cape Fear“ gezeigt haben, weil der zu gewalttätig sei. Da waren wir in einer Zwangslage — einen Scorsese kann man nicht ablehnen. Aber immerhin hat das doch zu wahnsinnigen Diskussionen geführt! Wäre dieser Film in Cannes gelaufen, hätte niemand ein Wort darüber verloren.

Schließlich ist Berlin auch eine Stadt mit Vergangenheit, was das Festival für viele politischer macht als die anderen. Die Nähe zu Osteuropa hat ja auch einen Einfluß auf unsere Themenwahl.

Man hat Ihnen in der Vergangenheit oft vorgeworfen, Sie würden dem europäischen Film zuwenig Chancen einräumen. Welche Konsequenzen haben Sie aus diesen Vorwürfen gezogen?

Ich höre Kritik sehr gern; aber ich tue deshalb noch nicht unbedingt alles, was die Kritiker wollen. Ich war immer ein Europäer, aber man muß die guten europäischen Filme erst einmal finden, und, wenn es sie gibt, sie für uns gewinnen. Dieses Jahr haben wir glücklicherweise sehr viele gute europäische Filme angeboten bekommen, ohne daß wir uns sagen mussten: wir müssen diesen Film nehmen, weil es ein europäischer ist.

Was unternehmen Sie, um den Verleihern europäische Filme schmackhaft zu machen?

Zum ersten Mal sind sehr viele Filme im Wettbewerb, die noch keinen deutschen Verleih haben. Inwieweit aber unsere Art der Programmgestaltung den Markt beeinflussen kann, das weiß ich nicht. Viele Verleiher haben immer noch Angst vor dem Risiko, einen europäischen Film nicht nur in den großen Städten zu zeigen. Das Publikum ist natürlich auch ein bißchen schuldig durch seine Abstimmung mit den Füßen. Was kann ein Festival da tun? Ein bißchen hoffe ich immer auf die Preisverleihung: Die Jury ist international, nicht nur Europäer haben diese Filme für exzellent gehalten.

Die Stelle des Filmbeauftragten in Berlin ist seit Wochen wieder vakant. Welche Bedeutung hat die desolate Filmförderungssituation Berlin/Brandenburgs für die Berlinale?

Sie hatte keinen Einfluß auf die Auswahl von Filmen, die wir gesehen haben. Aber es fehlt uns einfach der Filmbeauftragte als natürlicher Gesprächspartner am Ort, um Messen zu koordinieren. Ich selbst habe mich sehr für Babelsberg engagiert. Aber man braucht natürlich hier dringend eine Filmpolitik! Ein Filmbeauftragter hätte die Berlinale sehr gut für seine Zwecke nutzen können. Aber es steht völlig in den Sternen; die Situation ist ja wirklich katastrophal. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft von Babelsberg, trotz des Engagements von Schlöndorff und Fleischmann und anderen zieht sich der französische Konzern langsam zurück... Ich möchte gern wissen, was da dahinter steckt.

Welches sind für Sie die Leckerbissen der 43. Berlinale? Welche Filme oder Filmländer hätten Sie noch gern dabeigehabt?

Ich kann natürlich jetzt nichts zu einzelnen Filmen sagen, obwohl ich selbstverständlich auch meine Favoriten habe. Was mich freut ist die Anwesenheit von Billy Wilder und Gregory Peck, die Teilnahme so vieler erfahrener Mitglieder in der internationalen Jury.

Was ich sehr bedaure, ist die schwache Präsenz von Lateinamerika; weder wir noch das Forum oder Panorama haben dort etwas gefunden, und unter eine bestimmte Qualität kann man einfach nicht gehen. Ich bin froh, daß wir einen Film aus Afrika im Wettbewerb haben, ich hätte gern noch mehr gehabt. Schade auch, daß kein Film aus Polen dabei ist; aber was Osteuropa angeht, so muß man wohl noch einige Jahre warten, bis die Privatisierung dort abgeschlossen ist.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft der Berlinale, zum Beispiel was den Standort angeht?

Wir müssen dringend eine Lösung für das ausgelagerte Pressezentrum finden. Der Berliner Senat hat versprochen, Abhilfe zu schaffen, aber erst in fünf oder zehn Jahren. Klar ist, daß der Zoopalast das Zentrum der Berlinale bleibt. Das hat auch historische Gründe; schließlich war schon in den 20er Jahren dort das Filmzentrum. Es gibt Pläne, darum herumzubauen, so daß wir alles unter ein Dach unterbringen könnten. Ich habe natürlich auch ein bißchen Angst vor dem Rotstift. Ein Festival kann man nicht zu Rabattpreisen liefern.