: In Drachenköpfen gewachsen
„Faszination Edelstein“ – die wertvollsten Klunker der Welt, ausgestellt im Landesmuseum Darmstadt ■ Von Heide Platen
Schon eine Viertelstunde vor Beginn steht der Pulk älterer Damen im kalten Winterwind ungeduldig vor der geschlossenen Tür des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt. Sie können die Führung durch die Ausstellung „Faszination Edelstein – Mythos, Kunst und Wissenschaft“ kaum erwarten. Die wertvollen Klunker aus den „Schatzkammern der Welt“ funkeln und glitzern aber auch „zu und zu schön“ in den Vitrinen. Führerin Eljalill Spazier ist jung und aufgeregt. Sie hat so ihre eigenen Erfahrungen mit dem Publikum, das sich die Nasen an den Schaukästen plattdrückt, dabei mit viel „Ahs“ und „Ohs“ den Blick auf das Wesentliche verstellt, hierhin und dorthin springt. An diesem Abend hat sie Glück. Die Gruppe bleibt einigermaßen beieinander und hört ihr sogar zu auf dem Weg von den schlicht schönen Bergkristallen über die Topase, Saphire, Rubine, Diamanten bis zu den Korallen und Perlen. Und damit fängt die Lektion schon an.
Perlen sind keine Edelsteine, sondern organisch wie die zarten Stämmchen der Korallen. Dennoch gelten sie als solche, denn sie sind schön anzusehen, selten und deshalb teuer. Und: den Begriff „Edelstein“ gibt es in der Mineralogie, der Wissenschaft von der Beschaffenheit der Substanzen der Erdkruste, eigentlich gar nicht. Sie kennt nur Mineralien und Gesteine unterschiedlicher chemischer und physikalischer Zusammensetzung. Die „Faszination“ aber, so die Ausstellungsleiterin Sybille Ebert-Schifferer im Vorwort zum Katalog, erschafft „den Begriff ,Edelstein‘ als einen kulturgeschichtlichen“.
Auf den Mythos, die heilende Wirkung von Perlen, setzte angeblich schon die ägyptische Königin Kleopatra, die die Perlmuttkügelchen in Milch aufgelöst getrunken haben soll. Geschadet haben wird es nicht. Älteste Überlieferungen stammen von den mesopotamischen Astrologen, die die harten Glitzerdinger den Sternbildern und -zeichen zuordneten. Gilgamesch, Griechen und Römer, mittelalterliche Mystiker und Alchemisten deutelten und experimentierten. Edelsteine standen im jüdischen Talmud nicht nur für die zwölf Stämme Israels, sondern auch für die himmlischen Säulen, für die Monate des Jahres und galten seit Abrahams Zeiten als heilkräftig.
Der, weil kostspielige, wenig volkstümliche Glaube des christlichen Klerus und Adels des Mittelalters an ihre verborgene Macht wandelte sie, in Abwehr des teuflisch Bösen, zu Symbolen der Reinheit und Gottesliebe um. Im Kristallmeer, das Himmel und Erde trennt, machten die christlichen Mystiker den Wohnort der Heiligen aus.
In den Offenbarungen läßt Johannes nach dem Weltgericht das neue Jerusalem aus reinem Gold mit Mauern aus Jaspis und deren zwölf leuchtenden Grundsteinen erstehen. Die nehmen sich allerdings auf einem Altarbild aus dem 12. Jahrhundert eher aus wie bunte Wackersteine.
Auch der Blick in die größte geschliffene Kristallkugel der Welt von veritabler Fußballgröße ist nicht ungetrübt. Wolken und Schlieren, Brüche und Schründe durchziehen das Innere und verschleiern den Blick in eine glasklare Zukunft. Die Besucherinnen können dem Exponat trotzdem nicht widerstehen. „Darf man das anfassen“, fragen sie und streicheln die glatte Oberfläche der zauberischen Kugel.
Ausführliche Beschreibungen der Edelsteine sind in der „Historia naturalis“ des Römers Plinius Secundus aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung überliefert. Er wetterte schon seinerzeit gegen die Mystifaxe und ihre abergläubischen Praktiken mit Edelsteinen. Das hat bis heute nichts genützt.
Esoterische Buchhandlungen bieten zu der einschlägigen Literatur für die Lithotherapie, die Steinmedizin, die passenden Bergkristalle und Halbedelsteine an. Die Steine können entweder nach alten Bildern den einzelnen Sternzeichen und Körperteilen und damit deren Gebrechen zugeordnet oder als Pülverchen geschluckt werden. Sie lassen sich auch nach dem schlichten Rezept der Hildegard von Bingen anwenden, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben und Gleiches mit Gleichem zu kurieren. Sie teilte die Steine in „feucht, trocken, warm und kalt“ ein, verordnete also Feuer gegen Brennen, Feuchtes gegen den Blutfluß. Als universelles Wundermittel empfahl sie den Smaragd gegen Fallsucht, Würmer und Kopfschmerzen. Auch Plinius selbst hatte seinem Sammelsurium, wenn auch scheltend, allerlei Legendäres beigemischt. Die Härte des weder durch Feuer noch Schwert zu vernichtenden Diamanten könne, überlieferte er, nur durch ein Bad im Blut eines Ziegenbockes überwunden werden.
Im Vorraum zur Darmstädter Ausstellung installierte die Künstlerin Marina Abramović als Probe aufs Exempel einen eisernen Stuhl gegenüber einem monströsen Bergkristall. Die Ströme allerdings, die da kontemplativ fließen sollen, erzeugen, im Angesicht des spitz und massig auf die Brust der Betrachterin gerichteten Brockens, eher bedrohliche Schwingungen. Auch die auf dünnen Metallstelzen aufgestellten zentnerschweren Amethystdrusen wecken beim versuchsweisen Darunterstellen statt des kosmischen Feelings eher den Gedanken, daß einem dieser Kristallhimmel besser nicht auf den Kopf fallen möge. Und die drei Paar riesigen Steinschuhe sind dem Flug der Phantasie in die höheren Sphären schon rein gewichtsmäßig ziemlich hinderlich.
Dabei ist, trotz Plinius, nun wirklich nicht alle Lithotherapie so ganz von der Hand zu weisen. Die kleinen handlichen Kristallkugeln, je nach Stand des Besitzers mit dünnen Goldbändern und Rubinen gefaßt, das wußten schon die Altvorderen, beruhigten nicht nur als Handschmeichler, sondern kühlten Fieberkranke mindestens ebenso gut wie Großmutters Wadenwickel und hielten Getränke kalt. Plinius' These, daß Bergkristall on the rocks nichts weiter sei als versteinertes Eis, schmolz erst im Lauf der Jahrhunderte. Die Vermutungen über die Entstehung der Edelsteine führte immer wieder zu abenteuerlichen Spekulationen. In den Häuptern von Drachen und in Krötenköpfen seien sie gewachsen, Sonnentropfen oder Teufelssaat.
Außer als Kühlkörper und blaue Basis für Malerfarben haben sie unbestritten mindestens eine weitere Wirkung: Ihr Besitz beruhigt ganz ungemein. Darum wissen Fürsten, Diktatoren und Filmstars. Fragwürdiger ist die Hilfe, die sich die Griechen in der Antike von dem ihnen wertvollen Amethyst versprachen. Er sollte nicht etwa die Trunksucht heilen, sondern diente der Prophylaxe. Amethystos, „unberauscht“ also, bleibe, hieß es bei ihnen, derjenige, der seinen Wein nur aus den violetten Amethystschalen trinke. Bacchantisch mag es auch zugegangen sein, als die Achat-Kamee eines stocktrunkenen dicken Herkules als Karikatur auf den römischen Kaiser Claudius entstand, als der spätere deutsche Kaiser MaximilianI. mit seinem Fuß beinahe in eine Achat- Schleifanlage geriet, und als ein Schleifer 1670 das Konterfei von LeopoldI. aus Amethyst schnitt. Er stattete den Fürsten mit einer überdimensionalen Affenkinnlade aus.
Die Löffelchen aus Achat zeugen von anderen Sorgen der Gekrönten. Achat, glaubten sie, verfärbe sich warnend, wenn er mit vergifteter Speise in Berührung komme. Was jener Athanasius Kircher zu sich genommen hatte, der 1665 Steinhöhlen erforschte, in den Verwerfungen die wundersamsten „natürlichen Bilder“ ausmachte und aufzeichnete, vorwiegend Eulen, Drachen, Vögel und Katzen, ist nicht überliefert. Rudolf II. engagierte zum Beginn des 17.Jahrhunderts für seinen Prager Hof nicht nur die besten Steinschleifer, sondern in Personalunion auch Heilkundige. Sein Hofarzt Anselmus de Boots verabreichte ihm Steinernes. Die pragmatische amerikanische Autorin Mab Wilson diagnostizierte aus dessen Aufzeichnungen, daß der Kaiser, der an „Depressionen und geistiger Verwirrtheit“ litt, wohl „jeden Karat bitter nötig“ hatte.
Überhaupt waren immer wieder Ärzte, die mangels anderer Therapeutika beim Hantieren mit dem einen oder anderen Stein Weisheit über deren Beschaffenheit gewannen. Dabei hatten sich die allerersten auf einer Tontafel schriftlich überlieferten 14 Rezepturen aus Babylon schon recht vernünftig angehört. Sie erwähnten Flußschlämme und verschiedene Salze als mineralische Heilmittel. Ägyptens Ärzte mischten zwischen bewährte Heilmittel wie Alaun und Soda einen gehörigen Schuß Zauber und Magie, der den Berufsstand der Ärzte bei den Römern so in Verruf brachte, daß sie ihn, nicht nur zu Unrecht, zeitweilig fast generell der Scharlatanerie ziehen.
Der Katalog zur Ausstellung widmet sich diesem heiklen Kapitel mit besonderer Vorsicht und Sachlichkeit und wendet sich nach einer Passage über römische und mittelalterliche Spekulier- und Fabulierfreudigkeit sichtlich erleichtert den ersten Wissenschaftlern der Neuzeit zu. Hessische Hausfrauen kommentieren da eher lakonisch: „Des war mal und is auch viel ze deuer. Heut mecht mer des annerster und der Blüm die Preise!“
Wo der kostspielige Glanz ist, da ist auch die Fälschung nicht weit. Ägypter imitierten schon 5.000 Jahre vor der Zeitenwende Lapislazuli aus gefärbtem Talk und glasierter Keramik in Türkis und Malachit um. 3.500 Jahre später täuschte farbiges Glas transparente Edelsteine vor.
Der römische Kaiser Diokletian verbot die Imitationen und ließ alle Bücher darüber verbrennen. Mangels chemischer Analyse verschwanden immer wieder echte Steine aus Kirchenschätzen und Museen und wurden, oft lange unbemerkt, durch falsche ersetzt. Erst im 19. Jahrhundert bewährten sich erste Verfahren zur Herstellung synthetischer Steine. Der französische Chemiker Auguste Verneuil vollzog den natürlichen Kristallisationsprozeß „ebenso einfach wie schnell“ nach. Für Experten sind die Synthesen relativ leicht zu erkennen. Nur der harte Diamant widersetzte sich der für die Industrie rentablen künstlichen Produktion als Schmuckstein. Bisher gelang nur die Synthese kleiner Industriediamanten.
Gewinnung und Bearbeitung der Edelsteine nehmen in der umfassenden, sorgfältig dokumentierten Ausstellung nur einen kleinen Raum ein. Da ist zu sehen, wie die Edelsteinschleifer auf niedrigen Schemeln auf dem Bauch vor den großen, wassergetriebenen Sandsteinrädern in den Schleifereien liegen und im eiskalten Wasser harte körperliche Arbeit verrichten. Da ist außerdem auf Video ein Film über spektakuläre Diamentenfunde und die Monopol-Handelsgesellschaft De Beers zu betrachten. Nicht zu sehen sind die lebensgefährlichen und landschaftsvernichtenden Smaragdschürfgruben in Lateinamerika, die Arbeiter in den Minen von Südafrika und das Elend der asiatischen Familien, die winzige Steine in Handarbeit aus Bergen von Erde herauswaschen.
Trotz dieses Mangels setzt die Ausstellung gegen die aus aller Welt zusammengetragenen glitzernden Exponate eine wohltuend informative Sachlichkeit, die den Edelstein als Mineral erkennbar werden läßt. Sie tut sich damit beim Publikum sicher schwer, denn eine Besucherin läßt es lauthals wissen: „Ich bin doch nur wegen dem Schmuck hergekommen!“ Da hilft nur Selbstironie. Vor dem Ausgang kann sich jeder mit einer an einem Nagel hängenden Blechkrone vor einem Spiegel die schweren, höheren Weihen der Herrschaftsinsignien verleihen. Das Ding knallt garantiert schmerzhaft über die Stirn bis auf die Nase und zwingt die Ohren nach vorn in eine Art Klapphaltung.
Die Ausstellung „Faszination Edelstein – Mythos, Kunst und Wissenschaft“ im Landesmuseum Darmstadt ist noch bis zum 25.April geöffnet.
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