Niederlande erlauben Sterbehilfe

■ Ärzte müssen sich an strenge Auflagen halten/ Aktive Sterbehilfe wird seit Jahren praktiziert und geduldet

Berlin (AP/AFP/taz) – Das niederländische Parlament hat am Dienstag nach mehrjähriger kontroverser Debatte als erstes europäisches Land Richtlinien zur Sterbehilfe verabschiedet. Damit wird eine jahrelange Praxis erstmals per Gesetz geregelt. Wenn sich die ÄrztInnen an die gesetzlichen Bestimmungen halten, steht der Vollzug der Euthanasie nicht mehr unter Strafe. Für den Vorschlag stimmten 91 Abgeordnete, 45 waren dagegen.

Das Gesetz nennt 28 – vom niederländischen Ärzteverband erarbeitete – Voraussetzungen für legale Sterbehilfe. Danach darf nur ein unheilbar todkranker Patient um Sterbehilfe nachsuchen. Er muß im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein und die Bitte um Sterbehilfe mehrfach gegenüber seinem Arzt äußern. Auch muß klar sein, daß der Patient nicht unter fremdem Druck handelt. Der Arzt muß einen zweiten unabhängigen Mediziner hinzuziehen und jede Phase des Entscheidungsprozesses schriftlich niederlegen.

Nach dem Tod muß der Arzt einen detaillierten Bericht über die Sterbehilfe verfassen und einem Amtsarzt oder Richter zuleiten, um eine nachträgliche Kontrolle über die Richtigkeit seiner Entscheidung zu ermöglichen. Wenn sich der Arzt nicht an die Bestimmungen gehalten hat, droht ihm eine Freiheitsstrafe bis zu zwölf Jahren.

Aktive Sterbehilfe – meist mit Hilfe einer tödlichen Injektion – wird in den Niederlanden seit Jahren praktiziert. Nur ganz selten kam es zu strafrechtlichen Verfolgungen. Die Sprecherin des niederländischen Justizministeriums, Liesbeth Rensmann, nannte den Parlamentsbeschluß daher „eine Kodifizierung der gegenwärtigen Praxis“.

In den Niederlanden geht jeder fünfzigste Tod auf ärztliche Sterbehilfe zurück, heißt es in einem für die Regierung in Den Haag verfaßten Gericht. Allein im Jahr 1990 leisteten Ärzte in etwa 2.300 Fällen Sterbehilfe. Weiteren 400 PatientInnen halfen sie beim Selbstmord. Im selben Jahr lagen 9.000 Anträge auf Sterbehilfe vor. Die meisten wurden negativ beschieden.

Beobachter gehen davon aus, daß ärztliche Sterbehilfe mit der Parlamentsentscheidung eine Routinesache werden wird. Die Tageszeitung De Telegraaf geht davon aus, daß Euthanasie eines Tages genauso gewöhnlich sein wird wie heute die legale Abtreibung.

Die Regelung wird voraussichtlich 1994 in Kraft treten. Zuvor muß sie noch vom Oberhaus bestätigt werden und das Kronsiegel erhalten. Beides gilt als Formsache.

Obwohl Sterbehilfe in keinem anderen europäischen Land legal ist, rechnen Ärzte nicht damit, daß ausländische PatientInnen diese letzte Hilfe künftig in den Niederlanden suchen könnten. Dafür sei das Gesetz zu strikt. Ärzte würden nur Patienten behandeln, die sie schon seit Jahren kennen und betreut haben.

Die Sterbehilfe ist in den Niederlanden seit Jahren ein zentrales politisches Streitthema. GegnerInnen sind besorgt über die möglichen Auswirkungen des Gesetzes. So erklärte Fred den Boef von der „Christlichen Reformpartei“, die Entscheidung werde dazu führen, daß die Grenzen verschwänden und das menschliche Leben vom Gesetz weniger geschützt werde. Dagegen sagten Befürworter, sie würden den Kampf für die vollständige Legalisierung der Sterbehilfe fortsetzen. dora