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Neue Vertreibungswelle in Bosnien

■ Serben in Kroatien und Bosnien wollen gemeinsamen Staat

Wien (taz) – In Bosnien gehen die „ethnischen Säuberungen“ weiter. In der südöstlichen Region um Trebinje sind Tausende Muslime vor serbischen Truppen auf der Flucht. Radio Sarajevo sprach gestern von etwa achttausend Zivilisten, die in Trecks ihre angestammte Heimat verlassen. Ein Sprecher des Flüchtlingshochkommissariates in Genf warnte am Dienstag, man könne mit bis zu 50.000 Flüchtlingen entlang des Drina-Flusses und im Großraum Trebinje rechnen, sollten die serbischen Angriffe nicht unterbunden werden. Ziel der neuen Offensive: Die sogenannte autonome Provinz 5 des Vance-Owen-Planes, die den Muslimen zugeschlagen wurde, soweit zu erobern, daß bei einem zukünftigen Friedensschluß die Serben das alleinige Sagen hätten.

Der Polizeisprecher im kroatischen Nova Gradiska, Drazen Nikolic, berichtete in einem Telefoninterview, auf der gegenüberliegenden Seite der Save seien rund 5.000 Menschen aus Banja Luka und Umgebung versammelt, die nach Kroatien hinüberwechseln wollten. Sie seien bereits von zweifelhaften „Agenturen“ mit nötigen Papieren ausgestattet worden, ohne die sie beispielsweise die UNO-Schutzzone West, wo einige herkämen, nicht hätten verlassen dürfen. „Saubere“ Transitpapiere einschließlich einer behördlichen Bestätigung, daß alles Eigentum von Serben beschlagnahmt worden sei, kosteten 2.000 Mark.

Militante Serbenkreise haben bisher, trotz anderslautender Äußerungen ihres Führers Radovan Karadžić auf dem internationalen Politparkett, von der Idee eines Großserbien keinen Abstand genommen. In Banja Luka, der selbsternannten „Hauptstadt“ der „Serbischen Republik Bosnien“ stellte das „Serbische Parlament“ fest, daß man unter keinen Umständen auf das Recht auf nationale Selbstbestimmung verzichten und sich keinem internationalen Diktat beugen werde. Außerdem sollen innerhalb der nächsten 15 Tage die Parlamente der Serbengebiete in Kroatien und Bosnien ein Referendum über die Vereinigung dieser „Staaten“ ausschreiben. Ein Staatenkonstrukt, das den Friedensbemühungen der UNO und EG konträr entgegengestellt wird und alle diplomatischen Bemühungen, einen Frieden für Bosnien zu bewirken, entgegensteht.

In Belgrad wollte das „jugoslawische“ Parlament am Mittwoch abend mit Beratungen über eine Regierungsumbildung beginnen, die den Hardlinern Auftrieb geben könnte. Freischärlerführer Vojislav Šešelj kündigte an, jede Regierungsbildung zu Fall zu bringen, sollte er nicht den Posten des Innenministers oder ein ebenbürtiges Amt erhalten. Außerdem will der Tschetnikführer Dobrica Ćosić, dem Präsidenten von Restjugoslawien, das Mißtrauen aussprechen, da dieser ebenso wie der – im Dezember gestürzte – Ministerpräsident Milan Panić die serbischen Interessen verraten und sich dem „Diktat des Westens“ gebeugt habe.

Cosić seinerseits hat inzwischen für das Amt des jugoslawischen Premiers nach langwierigen Konsultationen mit den Parlamentsparteien den Montenegriner Radoje Kontic nominiert. Der 55jährige gehört der Sozialistischen Partei an, war Stellvertreter Panićs und gilt als Technokrat. Karl Gersuny

„Zwischenfälle“ in Ostslawonien

Zagreb (dpa) – In Kroatien wächst die Angst, daß der Krieg nach einem Jahr wieder voll entflammen könnte. Während der Nacht auf Mittwoch berichtete der kroatische Rundfunk von Zwischenfällen im Osten des Landes in der Region Ostslawonien. So eröffneten serbische Truppen aus Nordbosnien am späten Abend Artilleriefeuer auf die kroatische Grenzstadt Zupanja. Die Umgebung der slawonischen Provinzhauptstadt Osijek, 250 Kilometer östlich von Zagreb, wurde im späteren Verlauf der Nacht von einer heftigen Explosion erschüttert, meldete der kroatische Rundfunk. Nach ersten Berichten aus der Region gab es dabei keine Verletzten. Bei beiden Zwischenfällen, für die in Zagreb die serbischen Freischärler verantwortlich gemacht werden, entstand ein großer Sachschaden.

Auch die Situation in Dalmatien ist weiterhin sehr angespannt. Bis in den späten Abend waren in der Stadt Zadar Explosionen aus der Umgebung zu hören. Seit Tagen versuchen die Serben aus der sogenannten Republik Krajina, mit einer Gegenoffensive die in den vergangenen Wochen verlorenen Gebiete im Hinterland von Zadar zurückzuerobern. In kroatischen Meldungen hieß es, daß die kroatische Armee ihre Stellungen erfolgreich verteidige.

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