: Neues in Wittstock
■ Andreas Nowak sprach mit dem Regisseur Volker Koepp
Volker Koepp, Jahrgang 44, gehörte zu den wichtigsten Dokumentaristen der Defa. Seine Filme über Menschen in der ostdeutschen Provinz sind realistische Zeugnisse der untergegangenen DDR-Gesellschaft.
Die Berlinale zeigt im Forum den sechsten und letzten Teil seiner 1974 begonnenen Reihe über das Leben in der märkischen Kleinstadt Wittstock.
Unter dem lakonischen Titel „Neues in Wittstock“ werden die Veränderungen seit der Wende dokumentiert. Drei Arbeiterinnen aus der örtlichen Textilfabrik, die das Filmteam vor 18 Jahren kennenlernte, geben Auskunft – selbstsicher, ironisch und unaufgeregt. Die Geschichten von Elsbeth, Edith, Renate bestimmen den filmischen Ablauf. Unter Einbeziehung älteren Materials entstehen exemplarische Portraits, wird Alltagsleben in der DDR fern jeder Typisierung noch einmal spürbar. Der Film nimmt sich Zeit.
taz: „Neues in Wittstock“ ist in Leipzig mit einer Goldenen Taube ausgezeichnet worden. Der Film ist bereits im Fernsehen gelaufen, wann können wir „Neues in Wittstock“ im Kino sehen?
Volker Koepp: Den Film hat der Verleih der Filmemacher in München übernommen. Aber ich meine, daß es bei Dokumentarfilmen nicht nur auf die Zuschauerzahlen ankommt: in gewisser Weise vollenden sie sich erst im Gespräch mit Zuschauern. Ich habe im Laufe meines Filmlebens Hunderte Veranstaltungen gemacht, Gespräche und Diskussionen, in Filmklubs, Unis und Betrieben. Der Dokumentarfilm hatte noch eine wichtige Funktion in der DDR, weil es keinen richtigen Journalismus gab.
Aufnahmen am zentralen Ort des Geschehens, im ehemaligen VEB Obertrikotagen „Ernst Lück“, waren für „Neues in Wittstock“ nach der Wende nicht mehr möglich, die neuen Eigentümer haben das nicht erlaubt. Gab es denn in den früheren Filmen Behinderungen vor Ort? Oder lief das alles problemlos durch den Apparat von Partei und Defa?
Nach der ersten Arbeit, 1974/75, da wollten die uns auch nicht wieder reinlassen. Das war ein 20-Minuten-Film, aus heutiger Sicht ziemlich harmlos. Aber für damalige Zeiten war sensationell, daß in einem öffentlichen Medium gesagt wurde: „Also, die haben uns keine Fenster eingebaut.“ Und daß die Leute saufen und sich schlagen, war zwar bekannt — aber öffentlich wurde es eben erst, als auch öffentlich darüber gesprochen wurde. Andererseits wurden alle Wittstock-Filme von der Hauptverwaltung Film im Kulturministerium, dem Zensor also, zugelassen. — Also, sie wollten uns da vor Ort eigentlich nicht mehr haben: Nestbeschmutzung war das Schlagwort. Zwar wurden die Filme für das Kino zugelassen, manchmal natürlich auch bloß mit einer Kopie, was einem Verbot gleichkam, aber sie wurden niemals im DDR-Fernsehen gezeigt. Nicht einer — selbst als 1985 „Leben in Wittstock“ in Leipzig ausgezeichnet wurde und dann beim Berlinale-Forum lief und vom Defa-Außenhandel an das Bayerische Fernsehen verkauft wurde. Da gab es nochmal eine Anfrage vom Filmminister ans Fersehen, ob sie ihn nicht auch im DDR-Fernsehen zeigen wollen, aber die haben gesagt, das kommt nicht über unseren Bildschirm.
In „Neues in Wittstock“ fällt der Satz: „Es ist komisch, wenn man plötzlich ganz anders denken muß“ – unter den Bedingungen der Wende, der Währungsunion, all der Dinge, die neu waren. Wie haben Sie die Wende erlebt?
Natürlich ist es schade um die Defa — aber es ist auch gar nicht so schlecht, daß es zu Ende ist. Viele denken ja beim Wort Defa nur an die wichtigen Spielfilme oder an eine Reihe von Dokumentarfilmen, von denen geredet wurde, aber im Grunde war es ein riesiger Produzent, der zum größten Teil platte Propaganda gemacht hat. Wobei ich meine, daß ein Teil unserer Filme, die zu Festivals geschickt wurden, in gewisser Weise auch Propaganda war. Dadurch, daß es die Defa nicht mehr gibt, ist eine gewisse Demokratisierung eingetreten. Wenn man in der DDR Filme machen wollte, konnte man es entweder beim Fernsehen – und da konnte man es ja eigentlich nicht – oder bei der Defa. Eine andere Möglichkeit gab's nicht.
Sie arbeiten an einem neuen Film, Arbeitstitel „Der Wismut- Komplex“. Ist das ein Thema, das Sie damals auch schon im Kopf hatten, oder ist das ein Nach-Wende-Projekt?
Als diese Diskussionen liefen über die Atombewaffnung, wollte ich darüber arbeiten, durfte aber nicht. „Der Wismut-Komplex“ ist der Versuch, DDR-Geschichte anhand der Wismut nachzuzeichnen, die ein Staat im Staate war. Aber es ist auch eine Geschichte des Kalten Krieges.
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