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■ Press-SchlagEhemalige Kobra als Zen-Schlange

Fußball-Deutschland kannte Jürgen Wegmann nur als die „Kobra“. Höhnisch verspottet wurde der Mittelstürmer, hatte er doch dereinst verkündet: „Ich bin giftiger als die giftigste Kobra!“ Danach saß er allerdings bei den Münchner Bayern und Borussia Dortmund für zwei Jahre nur noch auf der Bank. Erst in der Winterpause wechselte er zum Zweitligisten MSV Duisburg.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzog sich bei Wegmann eine tiefgehende Änderung. In seiner Zeit des Leidens auf der Ersatzbank hat er zu Weisheit und Reife gefunden. Publik machte das die Neue Ruhrzeitung aus Essen in einem Interview, das der taz gerade noch rechtzeitig zugespielt wurde, um zum kürzlich erfolgten Rückrundenstart auf die völlig veränderten geistigen Grundlagen des Zweitligafußballs hinzuweisen. Wegmanns zentrale Äußerungen sollen auf diesem Wege einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden, die danach vielleicht ihr negatives Bild vom Fußballprofi überdenkt.

Seine Zeit als Ersatzspieler in München und Dortmund, so verblüfft uns Wegmann jetzt, durchlebte er annähernd spirituell: „Körperlich habe ich lange Zeit nicht gespielt, aber geistig immer. In meiner Vorstellung habe ich immer mitgespielt.“ Auch die Frage nach Existenzangst und Traurigkeit aufgrund seiner Außenseiterrolle weiß er auf eine andere Ebene zu transzendieren: „Existenzängste? Traurig? Man muß alles Wissen vergessen, dann fühlt man sich auch wohl.“

Weit hat sich Wegmann auf seinem Leidensweg als zwölfter, dreizehnter, vierzehnter Mann vom sonst so beherrschenden Flachsinn des Profigeschäfts entfernt und zu, ja man muß es so nennen, großer buddhistischer Leere gefunden. Der „Weise von Duisburg“, die „Zen- Schlange“, hat Erkenntnisse gewonnen, die über die Welt seiner Berufskollegen nicht nur weit hinausreichen, sondern diese in den Grundfesten ihres Seins erschüttern. Wo Ying ist, ist auch Yang. Oben ist unten. Rechts ist auch links. Und immer gilt auch das Gegenteil. All das weiß Wegmann.

Frage: „Ihr Vertrag in Duisburg ist nicht so hoch dotiert, aber er läuft am Saisonende aus. Das könnte ein Vorteil sein, wenn Sie mit vielen Toren für eine gute Verhandlungsposition sorgen.“

Wegmann: „Könnte auch ein Nachteil sein.“

Frage: „Wie das?“

Wegmann: „Wo ein Vorteil ist, da ist auch ein Nachteil.“

Solche Größe ist selten im eiligen Profigeschäft, wo hektischer Unsinn den Blick auf Tiefergehendes verstellt. Das sollte vor allem von dem Teil des Publikums wahrgenommen werden, das sich sehnsüchtig die „anderen Fußballer“ wünscht und zur Zeit mit den kickenden Philosophiestudenten des SC Freiburg liebäugelt. Dabei liegt die geistige Führung in Duisburg: Kobra, übernehmen Sie! Christoph Biermann

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