Sanssouci: Nachschlag
■ Musical "Kassensturz" im Ratibor-Theater
Am Donnerstag abend brachten Axel Poike und Thomas Bürkholz ihr Kammermusical „Kassensturz“ im Kreuzberger Ratibor-Theater zur Uraufführung. Das ist ihr gutes Recht. Nachdenklich stimmt jedoch, daß diese Produktion mit Mitteln der Künstlerförderung der Senatsverwaltung für Soziales finanziert wurde. Denn was da 75 Minuten lang auf der winzigen Bühne zu sehen ist, läuft dem vermuteten Unterhaltungbedürfnis des Publikums in vorauseilendem Gehorsam so eifrig entgegen, daß es erst auf dem Niveau der „Hitparade“ zu Zeiten von Dieter Thomas Heck zur Ruhe kommt.
Die Geschichte ist eher dünn und dient eigentlich auch nur zur Anmoderation der einzelnen Lieder. Eine Hinter-den-Kulissen- Situation: Sängerin verirrt sich erst in Theaterpremiere und dann mit Schauspieler zum Quickie in die Garderobe. Dessen Geliebte und Kollegin kommt erschrocken hinzu. Es entspinnt sich ein mühsamer Disput über das Schauspielen einerseits und das Singen andererseits, über Männer, die immer gehen, Frauen, die betrogen zurückbleiben und über das Leben allgemein. Die Lieder, schmelzend vorgetragene Softschlager, führen das jeweilige Thema aus: „Vom Schicksal gebeutelt, vom Leben verlacht...“ oder auch etwas aggressiver: „Männer haben's gut, Schwanz rein und weg, Türe kracht zu, wir sitzen im Dreck.“ Wenn einer der drei singt, bleiben die anderen stehen und sehen zu.
Befremdlicherweise versucht man die altbackene Heiterkeit des pointenorientierten Textes auch noch mit drei hoffentlich kritisch gemeinten Sätzen anzureichern: „Ihr keift ja wie die Judenweiber“, sagt der Schauspieler. „Ich kann doch meine Herkunft nicht einfach so ablegen“, erwidert prompt und betrübt die Sängerin. Jetzt ist die Reihe wieder am Schauspieler, er läuft freudig in den Spot und singt: „Wenn du einen Makel hast – steck ihn einfach weg...“ Das ist nicht nur mißglückt – es ist bodenlos.
Auch szenisch bleibt alles zu wünschen übrig: Die Darsteller (Christine Poisl als Tragödin, Jacqueline Jacob als spätes Singmädchen, Ari Gosch als Liebhaber) tragen ihren jeweiligen Hauptcharakterzug ins Gesicht gemeißelt und agieren ausladend, wie für die oberste Reihe einer Freilichtbühne. Andreas Murnau sitzt meist stumm und auf dem Klavier spielend hinter demselben. Der Wein in den Gläsern ist Wasser, und nicht einmal eine eifersüchtige Ohrfeige erreicht ihr Ziel – ohne Nachhall bleibt die Hand in der Luft hängen, so wie die ganze Veranstaltung überhaupt. Später läßt man dann das dramatische Mäntelchen fallen und singt en suite, und zwar zu einer aufgeregten Discobeleuchtung und mit Playback-Unterstützung.
Für Musik, Text und Personen-Arrangement zeichnen Axel Poike und Thomas Bürkholz verantwortlich. Wo und wie leben von öffentlicher Seite künstlergeförderte Menschen, denen zum Thema Musical nur „Kassensturz“ einfällt? Besser wär's, daß nichts entstünde... Oder sie spielten es mit etlichen Strichen und dreimal so schnell – als Parodie. Petra Kohse
Bis 28. Februar, jeweils Freitag bis Sonntag, 20 Uhr im Ratibor- Theater, Cuvrystraße 20
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