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Weltkunst aus Burkina Faso

■ ...und Provinzialität in der Hauptstadt Berlin: eine absurde Pressekonferenz

Wann ist ein Filmemacher kein Filmemacher mehr? Wenn er aus Afrika kommt: dann nämlich präsentiert er auf der Berlinale keinen Film, sondern repräsentiert gleich einen ganzen Kontinent.

Natürlich ist es unüblich, eine Filmkritik mit der Beschreibung der zugehörigen Pressekonferenz zu beginnen — zumal Ouédraogos Film bemerkenswert ist: frisch, vital, von schlichter, niemals simplifizierender Eleganz. Die Story ist wie ein einfaches Gericht: ein Gang, der aber nahrhaft. Und sie ist einerseits universell (wie Ouédraogo weiß), andererseits aber erzählt in einem Kontext — einem afrikanischen Kontext. Und da liegt das Problem, weshalb man eben mit der Pressekonferenz beginnen muß...

Es mag unglaublich klingen, aber die JournalistInnen waren auf der Pressekonferenz zu „Samba Traoré“ nicht in der Lage, Ouédraogo anders als eben einen afrikanischen Filmemacher zu behandeln. Die Pressekonferenz begann mit der Frage „Wie macht man Filme in Burkina Faso?“, die von Ouédraogo prompt quittiert wurde mit der Antwort „Mit Film — wie überall.“ (Kann man sich vorstellen, daß dieselbe Frage an einen Filmemacher aus Ungarn oder der Schweiz gestellt wird?) Ouédraogo führte aus, daß, in Afrika Filme zu machen, auch ein mühsames Unterfangen ist: Material und Crew müssen aus Europa kommen. Es gibt Detailprobleme der überraschenden Art: Schwarze Haut absorbiert das Licht, während weiße Haut das Licht reflektiert — also müssen andere Beleuchtungstechniken verwendet werden...

Und wie finanziert man einen afrikanischen Film? Ouédraogo widerstand der Versuchung, auch auf diese Frage zu antworten: „Mit Geld — wie überall.“ Stattdessen betonte er, daß alle Filme in ihrer Finanzierung von europäischen Fernsehanstalten abhängig sind — gleichgültig, ob ihr Regisseur aus Burkina Faso, London oder Duisburg kommt. Aber die europäische Filmindustrie ist restriktiv: „Man finanziert nur einen Film aus Afrika pro Jahr — nicht nur, weil das Publikum für solche Filme begrenzt ist, sondern weil sie als austauschbar betrachtet werden.“ Ein afrikanischer Film ist ein afrikanisher Film ist ein afrikanischer Film...

Vor zehn Jahren, so Ouédraogo weiter, „war man wild auf lateinamerikanischen Film in Europa. Dann gab es die Wende nach Afrika, und jetzt ist es der asiatische Film. Vielleicht geht der nächste Trend nach Osteuropa... es ist ein Spiel mit Ländern, das mit den Filmen nicht viel zu tun hat.“

Schließlich, endlich stellt die Presse auch eine Frage zum Film selbst — und was für eine Frage! „Ihr Film hat ein universales Thema, er nimmt Bezug auf Dostojewskis „Schuld und Sühne“... Ich bin enttäuscht zu sehen, daß Ihr Film europäischen Themen Tribut zollt, daß wirklich afrikanische Themen nicht behandelt werden.“

Dieser Einwand scheint Ouédraogo bekannt zu sein: „Daß ich schwarz bin, heißt nicht notwendigerweise, daß ich weder Kant noch Molière gelesen habe...“ Mit schier unendlicher Geduld verteidigte der schwarze Filmemacher aus Afrika das Recht, von Dostojewski oder auch vom Film Noir beeinflußt zu sein. Tavernier, Wenders, Herzog können in Afrika drehen und Stammesmusik verwenden, und sie werden als Visionäre gefeiert. Aber ein afrikanischer Regisseur, der sich auf einen russischen Prosaisten des 19. Jahrhunderts bezieht, begeht eben Verrat an seinen Wurzeln.

Armut, Hunger, Aids und Bürgerkrieg sind die herrschenden Bilder resp. Klischees, die Europa von Afrika hat. Über Musik und Tanz hinaus haben wir keine Vorstellungen von afrikanischer Kultur, und vermutlich korreliert das mit unseren Wünschen: Afrika ist das Mysterium, der dunkle Kontinent. Der afrikanische Film wird noch von einzelnen Staaten finanziert, weil die schmalen finanziellen Ressourcen für Schulen, Krankenhäuser etc. verbraucht werden; die Weltbank betrachtet die afrikanische Filmförderung ebenfalls nicht als ihr vordringliches Interesse, sondern als luxuriöses Epiphänomen. Und vielleicht entspricht dies ja auch dem Interesse Europas, am Klischee Afrika festzuhalten.

„Europa hat keinen Begriff von Personen, von Individualität in Afrika“, sagte Ouédraogo in diesem Zusammenhang. Die Gefühle eines verliebten Burkiner seien im Prinzip dieselben wie die eines Verliebten aus Brüssel. Und die Angst eines Mannes auf der Flucht sei in gewisser Weise universal — in Glasgow wie in Ouagadougou. Mußte das wirklich ausdrücklich gesagt werden, Wort für Wort, an diesem sonnigen Wintermorgen in Berlin, für dieses erwählte Publikum? Offenbar mußte es sein.

„Unser Kampf als afrikanische Filmemacher besteht darin zu beweisen, daß wir uns von Euch nicht mehr unterscheiden als Ihr Euch von uns: der einzige Unterschied ist ein ökonomischer.“ Diese finanzielle Differenz kann eben dazu führen, daß am Ende dieses Filmjahrhunderts die einzigen Filme, die in Afrika gedreht werden, von europäischen FilmerInnen gemacht werden: „Out Of Africa Again“, „Go, Trabi, Go; Teil II“... Hoffentlich wird „Samba Trace“ dazu beitragen, daß so begabte Regisseure wie Ouédraogo weiterhin eine Möglichkeit haben, ihre eigenen Ideen auszudrücken und ihr Talent zu verwirklichen.

„Samba Traore“ ist eine Fabel, eine Geschichte mit einem moralischen Imperativ in der Stimmung Rohmers. Nachdem er erfolgreich eine Tankstelle ausgeraubt hat, kehrt Samba (Bakary Sangare) mit der Beute in sein Heimatdorf zurück. Er wird vom Dorf willkommen geheißen, aber gerade dieses Willkommen bestätigt ihn in seinen Gefühlen von Isolation und Einsamkeit. Er versucht, das Dorf „zu kaufen“, er wirbt mit Geld um seinen Freund Salif (Abdoulaye Komboudri), und er möchte Saratous (Mariam Kaba) Herz gewinnen, indem er ihr ein Haus verspricht.

Gefangen und fansziniert von Sambas neuem Wohlstand, stellt das Dorf keine Fragen nach dessen Herkunft. Alle spüren Sambas Nervosität, alle nehmen seine Werbung um Liebe und Anerkennung deutlich wahr. Und die Geschichte geht nicht gut aus.

Bakary Sangare ist der erste international erfolgreiche Schauspieler in Ouédraogos Team; seine Darstellung ist charismatisch und überzeugend. Seine frühere Arbeit mit Peter Brooks ist deutlich, insofern er sich stark auf gestische Momente stützt. Sambas scheues, ausweichendes, charmantes Grinsen ist ein bleibendes Bild — das Bild eines Mannes im Krieg mit sich selbst, eines Mannes, der seine Vergangenheit verachtet und seine Zukunft fürchtet. Es ist ein Grinsen, das Tränen in die Augen seiner Frau treibt und seinen Freund und seine Eltern traurig und beunruhigt macht.

Dieser Film verdient ein großes Publikum — nicht als ein exotisches, fremdartiges Kulturprodukt, sondern als ein Film von Weltklasse.

Henrietta Foster

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