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Wo gehobelt wird

■ Jon Josts „The Bed You Sleep in“– Ein Beitrag zur Mißbrauchshyterie?

Der amerikanische Regisseur Jon Jost, ein Lieblingskind des Forums, konstruiert seine Filme wie ein Pyrotechniker. Er legt etwa eine Stunde lang Lunten aus – Fliegen werden auf einen Angelhaken gespießt, Gespräche mit gedämpften Stimmen geführt –, um dann schließlich mit einem Handstreich alles, Mann und Maus, Hof und Haus, in die Luft zu jagen. Es sind die „domestic dramas“, die es ihm angetan haben, jene kleinen griechischen Tragödien des kleinen Amerikaners, die in Oregon spielen und alle ins Verderben reißen.

Im Gegensatz zu David Lynchs „Twin Peaks“ ist Josts locus delicti kein Kitschparadies mit Holzfällerhemden und Zauberhexen, sondern eine Kleinstadt mit Sägewerk, Gummistiefeln und Coffee Shops. Die Natur ist noch ganz gegenwärtig, Äste, Büsche, vom Regen glänzende Landstraßen sind zum Greifen nah. Das Fräsen der Sägen, das dumpfe Rollen der Baumstämme ist der Basso Continuo dieses Films, der ansonsten weite Strecken in bedrohlicher Stille zubringt. Mit viel Ruhe geht Jost durch die Stadt und blickt in Fensterscheiben, spiegelnde Flächen, die die Welt in ein einziges Janusgesicht verwandeln: Was hinter dem Spiegel, was unter der Oberfläche lauert, wird er uns erst am Ende zeigen.

Ray (Tom Blair, der Racheengel aus „Sure Fire“) ist im Holzhandel, und es geht ihm an den Kragen. Ein Kollege und ein Anlageberater schlagen ihm Zahlen um die Ohren, die Japaner, die Autoindustrie, die Maschinenamortisation. Jost spielt ein bißchen Reality-TV, hinter den Verhandelnden die Landkarten des ruinierten Landes. Jost, so spürt man, sieht Amerika, vor allem das ländliche Amerika, zur Hölle fahren; der einfache Mann kommt unter die Räder, den Reibach machen die dekadenten Bastarde in der Stadt, die nicht wissen, wem sie die Luft verdanken, die sie in ihrer Hybris einsaugen.

Ray wird derweilen als „good guy“ aufgebaut, ein Mann mit einem strengen, skandinavischen Gesicht, einfach, den Obszönitäten seines Kollegen, der das „Stopfen der Fische“ mit dem „Stopfen der Frau“ vergleicht, durchaus abgeneigt. Einer, der oft allein zum Angeln fährt, just for fun, ein Mann und sein Fluß und sein Fisch. Aber die Wasseroberfläche blitzt trügerisch wie die Spiegel, die Frauen tuscheln hinter den Türen, ein Junge, der für ihn beten will, steht wie der Erzengel Gabriel plötzlich an der Straße; die Säge sägt, Vogelschwärme rotten sich dräuend zusammen, lauter böse Omen.

Nie war so klar, wie sehr das Independent-Kino auf Hollywoods verhaßte filmische Konventionen angewiesen ist, damit seine Tricks funktionieren. Wo es im Hollywood-Film den Schuß-Gegenschuß für Dialoge gibt, sieht man bei Jost lange Zeit nur Rays Frau über seine Überlastung reden, man weiß nicht, mit wem, es könnte ein Polizist, ein Therapeut oder ein Nachbar sein. Es ist – die Freundin. Wo Hollywood ein Geräusch einsetzt, um eine Handlung zu motivieren, klingelt in Josts Coffee Shop das Telefon wie eine stumme Warnung, die von den laut Schwätzenden überhört wird; Autos fahren vorbei, Kinder werden von der Kamera auf dem Nachhauseweg verfolgt, ohne daß sie je wieder im Film auftreten würden – alles, um eine mysteriöse Stimmung zu erzeugen, als sei der Ort heimgesucht.

Schlagartig bricht dann auch die Hölle los: Ein Brief trifft ein von der Tochter auf dem College. Sie sollte eigentlich am nächsten Wochenende kommen, aber sie wird nicht kommen, nie mehr, so lange ihr Vater – sie nennt ihn nur noch Ray – dort ist. Denn seit sie diese Frauengruppe getroffen habe, sei ihr plötzlich klar geworden, was er mit ihr gemacht habe. Immer noch denke sie an seine Hände, habe bisher alles verdrängt, habe ihn immer lieb gehabt. Aber nun, so steht es in diesem Brief, sei ihr klar geworden, was es mit den schwarzen Löchern in ihrer Erinnerung auf sich habe. Mehr muß sie nicht sagen, und plötzlich ist klar, daß nicht nur Mißtrauen, Angst, Horror und Trauer über alle hereinbrechen, sondern daß nach diesem Brief keiner mehr weiterleben kann.

Auf den ersten Blick wirkt „The Bed You Sleep in“ wie die lang erwartete Antwort auf die Hysterie um sexuellen Mißbrauch, wie der notwendige Kommentar zu jener Hexenjagd, die in vielen amerikanischen Kleinstädten dazu führt, daß Kindergärtner es nicht mehr wagen, ihren Zöglingen in den Mantel zu helfen. Der Film zur Rutschky-Essayistik.

Bei genauerem Hinsehen stellt sich aber heraus, daß die Frauengruppen, die Großstädte, die Universitäten, die Japaner und die westliche Moderne ein feindseliges Konglomerat ergeben. Sie sind schuld daran, daß solche Menschen wie Ray nicht mehr existieren können. Aus der Stadt wird das Gift in die kleinen Gemeinden geträufelt, in denen Wahrheit dann zur Lüge wird, zum „schwarzen Loch der Erinnerung“, das sogleich eine Frauengruppe mit ihren sexuellen Frustrationen beliebig füllen kann. Während Katharina Rutschkys Essays eine sexfeindliche schwarze Pädagogik geißeln, ist bei Jost der Sex eigentlich auch eher Weibersache, Großstadtdekadenz, Umgarnung. Die Männer gehen angeln. Mariam Niroumand

Jon Jost: „The Bed You Sleep In“ (Wie man sich bettet). USA 1993, 117 Min. Kamera: Jon Jost; mit Tom Blair, Ellen McLaughlin, Kathryn Sannella.

HdKW: 13.2., 15.45 Uhr; Delphi: 13.2., 21.30 Uhr; Arsenal: 14.2., 10 Uhr, Akademie: 15.2., 17 Uhr, Babylon: 16.2., 22.30 Uhr.

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