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Frischfleisch für die Freier

„Gebrochene Rosen“: Ein schockierendes Buch zur kriminellen Kinderprostitution auf dem asiatischen Sexmarkt  ■ Von Christel Burghoff

Es kann einem elend und speiübel bei diesem Thema werden: sexuell mißbrauchte Kinder, versklavt, von Asientouristen aufs schnelle konsumiert oder bestialisch zugerichtet – je nachdem, welche Gelüste mitspielen; das Schindluder, das mit den Hilflosesten der Armen getrieben wird, deren einzige „Ressource“, ein kindlicher Körper, malträtiert und mit tödlichen Krankheiten infiziert wird; Kinder, die erniedrigt und seelisch zugrunde gerichtet werden... Von der materiellen Armut zur Verarmung der menschlichen Würde: In die „nie enden wollende Hoffnungslosigkeit hineingeboren“, landen vor allem in Thailand, auf den Philippinen und auf Sri Lanka Zehntausende von Kindern im Sexgewerbe. Man nennt das schlicht den „Teufelskreis“, denn „das Kind, das arm ist, wird überall und von allen ausgebeutet, selbst von jenen, die vorgeben, seine Freunde zu sein“, schreibt Ron O'Grady in seinem Buch über Kinderprostitution und Tourismus in Asien. „Mit zehn bist du erwachsen, mit zwanzig eine alte Frau und mit dreißig tot“.

Ron O'Grady schildert noch einmal einige der spektakulärsten Fälle, die in den vergangenen Jahren durch die Weltpresse gingen. Beispielsweise Rosarios Fall: Mit elf Jahren starb das Kind einen grauenvollen Tod infolge abgebrochener Vibrator-Teile, die ihr ein Vergewaltiger bis in die Gebärmutter hineingetrieben hatte – ein langes, monatelanges Sterben. Aus Angst vor weiteren Repressionen war das Mädchen gar vor dem Arzt geflüchtet, der es noch rechtzeitig operieren wollte. Den hilflosen Helfern – in Rosarios Fall eine Gruppe von Sozialarbeitern, Mitarbeitern religiöser Gruppen und Rechtsanwälten – bleibt in solchen Fällen kaum mehr als eine Skandalisierung übrig, um auf die Verhältnisse hinzuweisen.

Die Verhältnisse? Selbst bei Gerichtsverfahren, sofern sie je zustande kommen oder gar zu einer Verurteilung führen wie im besagten Fall von Rosarios Mörder, einem österreichischen Arzt, genießen die Täter noch alle Vorteile, angefangen von exquisiter Sonderbehandlung im Strafvollzug bis hin zur schnellen Haftentlassung.

Daß von offizieller Seite die Verbrechen möglichst vertuscht und lässig mit solchen Fällen umgegangen wird, daß, wie man vermutet, die philippinische Regierung den Mädchenhandel stillschweigend billigt, daß im kriminellen Netzwerk viele gut am Mißbrauch mit Kindern verdienen, hängt vor allem, wie der Autor aufzeigt, mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler Länder von den „sensiblen“ Touristenströmen aus reichen Ländern. Es ist das auf dem Welttourismusmarkt geradezu klassische Modell, den potenten, ausländischen Zahlern wunschgemäß die begehrtesten Landesressourcen preiszugeben. In diesem Geschäft fallen die Hemmschwellen schneller, als „Ressourcen“ zur Verfügung stehen. Im Falle Thailands und der Philippinen hat sich das Sexgewerbe erst im Zuge des Vietnamkrieges etabliert. Um die Bedarfslücke nach 1975 zu schließen, wurde der Wirtschaftszweig (Sex)Tourismus forciert.

Wer sind die Täter? Der unauffällige Familienvater von nebenan greift im Urlaub neuerdings auch schon mal zum Kind, wenn es ihm aidsunverdächtig erscheint. Schwer vorstellbar, daß er sich deswegen schämt, wiegt er sich doch wie fast jeder Tourist in dem felsenfesten Glauben, mit seinen Aktivitäten den wirtschaftlichen Segen ins fremde Land zu bringen. Was man den Bumsbomber-Besatzungen als mangelnde Sensibilität oder als die logische Folge „normaler“ Frauenverachtung anlasten kann, hat, worauf Ron O'Grady hinweist, für die organisierten Pädophilen, die in Asien die Kinderprostitution zum Boomen bringen, noch eine andere Note. Durchweg „rechtschaffene“, häufig gar „geachtete Persönlichkeiten der Gesellschaft“, „konservative“, auf „Ehrbarkeit“ Wert legende, beruflich erfolgreiche Männer mittleren Alters gehen gezielt auf „Beutejagd“ und verbrämen ihr Treiben mal mit dem Argument sexueller Vorurteilslosigkeit, mal unter dem kulturrelativistischen Vorwand andersartiger Sitten. Ihre kleinen Opfer werden allemal sexuell ausgebeutet, besonders perfide in den Varianten „Waisenhausgründer nimmt arme Kinder auf“ oder „ruheständlerischer Gönner finanziert die Schulausbildung“. Ron O'Grady schildert das lebenslange Leiden der mißbrauchten Kinder. Er befaßt sich mit den Motiven der Täter (und neuerdings auch Täterinnen) und ihren westlichen Organisationsstrukturen, die sich bis auf touristische Netzwerke im asiatischen Raum erstrecken. Schließlich stellt er Initiativen mit Rehabilitationsprogrammen für Kinder vor, die allerdings erfolglos arbeiten, denn „das gesamte System der Kinderprostitution schafft Zwänge, die effektiv den Selbstwert und die Selbstachtung des Kindes zerstören und in einem totalen Vertrauensverlust enden“. Wenige Wochen Prostitution, dreißig bis fünfzig Freier pro Tag, versperren jedem Kind definitiv den Weg in ein anderes Leben.

Mit einer harten Drogenpolitik gehen einige asiatische Länder gegen jeden, gleich ob Einheimischer oder Ausländer, vor. „Es gibt keinen ersichtlichen Grund, schreibt Ron O'Grady, „warum ähnlich strikte Strafmaßnahmen nicht auch gegen Ausländer angewandt werden sollen, die bewußten Kinderhandel betreiben.“

Ron O'Grady: „Gebrochene Rosen. Kinderprostitution und Tourismus in Asien“. Herausgegeben von: Third World Tourism European Ecumenical Network (TEN), Bad Honnef 1992

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