: Neue Runde im Borfors-Skandal?
Aufgrund von Dokumenten aus der Ex-DDR prüft die schwedische Justiz, ob der Prozeß um illegale Waffenlieferungen des Bofors-Konzerns in den Iran neu aufgerollt wird ■ Von Thomas Scheuer
Bonn (taz) – Einer der spektakulärsten Rüstungsexportskandale Schwedens wird möglicherweise demnächst neu aufgerollt: Der Strafprozeß um illegale Munitionslieferungen des schwedischen Bofors-Konzerns Mitte der achtziger Jahre in den damals kriegführenden Iran. Ob es dazu kommt, könnte nicht zuletzt davon abhängen, ob die BRD Beweismittel aus den Archiven der Stasi sowie Schalck-Golodkowskis Firmenimperium „Kommerzielle Koordinierung“ herausrückt.
Nach jahrelangen internationalen Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft 1987 gegen Manager der Bofors-Tochterfirma Nobelkrut, unter ihnen Marketing-Chef Mats Lundberg, Anklage wegen unerlaubter Ausfuhr von Kriegsmaterial erhoben. Über Jahre hinweg, so der Tatvorwurf, habe Bofors hunderte Tonnen von Sprengstoff und Schießpulver über die DDR an den Iran geliefert. Lediglich zur Tarnung seien Kunden in Österreich oder Finnland als Empfänger deklariert worden. Lundberg und seine Kompagnons bestritten, vom Endkunden Iran gewußt zu haben. In die DDR habe man nur Pulver für zivile Jagdmunition exportiert. Das Amtsgericht Karlskoga entschied nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ und sprach Lundberg & Co. im Februar 1989 frei. Im Juni 1990 bestätigte das Oberlandesgericht Svea den Freispruch in zweiter Instanz.
Jetzt prüft der oberste Ankläger Schwedens, der Generalstaatsanwalt in Stockholm, ob der Bofors- Prozeß wiederaufgenommen werden muß. Denn Dokumente aus den Panzerschränken der ehemaligen DDR stützen die seinerzeit zurückgewiesenen Anklagevorwürfe: Die freigesprochenen Bofors-Manager belieferten den kriegführenden Iran mit Munition und nutzten die DDR als Transitschleuse zur Umgehung der schwedischen Exportgesetze. Als Relais- Station auf DDR-Seite fungierte die Ostberliner Firma Imes, im Firmenimperium des berühmt-berüchtigten Alexander Schalck-Golodkowski zuständig für den „inoffiziellen“ Waffenhandel. Belege für die Bofors-Deals finden sich in den Dossiers der Stasi und in Geschäftskorrespondenz der Imes. – So hielt Schalck persönlich in einem Vermerk für Außenhandelsminister Gerhard Beil am 4.April 1986 fest: „In den Jahren 1981 bis 1984 wurden mit Wissen und aktivem Interesse der schwedischen Firma insgesamt 350 Tonnen Sprengstoff durch die Imes nach dem Iran geliefert. Damit sollten die unter dem Schah bestehenden exzellenten Geschäftsbeziehungen auch mit dem neuen Regime fortgesetzt werden.“
Die Symbiose zwischen den Todeskrämern in West und Ost funktionierte: Für westliche Exportkontrolleure und Zollfahnder war die DDR eine große Black box, in der sich jede Spur verlor. Die volkseigenen Schieber des devisengeilen Schalck-Golodkowski zockten bei den Umgehungsgeschäften ohne großes Zutun Provisionen in Millionenhöhe ab. Am 14.Februar 1983 etwa notiert Imes-Chef Erhard Wiechert in einer „Information für Genossen Dr.Schalck“: „Zwischen Bofors und NDIO (dem iranischen Amt für Militärindustrie, d. Red.) soll ein Vertrag über 900 Tonnen Pulver für Gewehrmuniton abgeschlossen worden sein. Bofors fragt an, ob wir bereit wären, bei der Realisierung dieses Vertrages gegen Zahlung einer Provision in Höhe von 5 % mitzuwirken.“ Natürlich war Schalck bereit.
Der schwedische Oberstaatsanwalt Folke Ljungwall prüft derzeit die Chancen eines Wiedereinsetzungsverfahrens. Nach mehrmonatiger Prüfung, so meldete er kürzlich Schwedens oberstem Ankläger, dem Generalstaatsanwalt in Stockholm, „ziehe ich den Schluß, daß der Ausgang des Verfahrens ein anderer gewesen wäre“, wenn die nach dem Zusammenbruch der DDR aufgetauchten Dokumente damals dem Gericht vorgelegen hätten. Denn diese, so erklärte auch das Stockholmer Zollfahndungsamt, „deuten daraufhin, daß Lundberg einen aktiveren Anteil an der Planung der Geschäfte hatte, als damals erkennbar war.“
Doch die Ermittler sitzen in der Zwickmühle: Von den DDR-Dokumenten wissen sie aus Artikeln und Gesprächen mit Journalisten. Die Akten lagern bei mehreren deutschen Stellen: Bofors-Dossiers des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit liegen bei der Gauck-Behörde, Geschäftskorrespondenz der Firma Imes im Bundesarchiv in Coswig. Hinweise auf die Bofors-Geschäfte finden sich auch im Fundus der Berliner Staatsanwaltschaft, die 600 Imes- Ordner in einer Ostberliner Garage aufspürte, ferner in den Akten des bundestäglichen Schalck- Untersuchungsausschusses.
Um den Bofors-Prozeß neu zu eröffnen, müßte Schwedens Generalstaatsanwalt diese Dokumente auf offiziellem Wege erhalten. Um Rechtshilfe seitens der Bundesrepublik anzufordern, müßte er aber ein laufendes Verfahren vorweisen. Um ein solches Verfahren in Gang zu bringen, bräuchte er wiederum erstmal die Akten. Um den Teufelskreis zu knacken, hat sich Ankläger Ljungwall zu einem, wie er selbst sagt, „einmaligen Schritt in der schwedischen Rechtsgeschichte“ entschlossen: Er bat das königliche Außenministerium, sich bei der Bonner Regierung auf diplomatischem Wege um Überlassung der Akten zu bemühen.
In Bonn wird der Vorstoß womöglich auf wenig Gegenliebe stoßen. Im Dezember 1989, Lundbergs zweiter Prozeß lief auf Hochtouren, beantragte die schwedische Justiz, den soeben in die BRD übergelaufenen Schalck-Golodkowski per Rechtshilfeverfahren als Zeugen vernehmen zu dürfen. Obwohl ein Sachbearbeiter des Bonner Justizministeriums in einem der taz vorliegenden Vermerk sein Okay gab, kam es nie zur Vernehmung Schalcks. Den seltsamen Vorgang mochte eine Mitarbeiterin des Stockholmer Außenministeriums auf Anfrage der taz lediglich mit der Bemerkung kommentieren: „Das sind heiße Kartoffeln, die sie da ansprechen.“
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