piwik no script img

Mammutprozeß ohne Rechtsgrundlage

■ Geheime Akte belegt: Observation von Knud Andresen und Ralf Gauger war rechtswidrig / Zielperson verwechselt

und Ralf Gauger war rechtswidrig / Zielperson verwechselt

Die Observation der beiden Rot-Floristen Ralf Gauger und Knud Andresen durch vier Hamburger Staatsschützer war rechtswidrig. Das belegt die jetzt dem Itzehoer Landgericht vorgelegte Observationsakte, die die Hamburger Polizeiführung monatelang unter Verschluß gehalten und erst nach einem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts herausgerückt hat. Ferner kam beim letzten Prozeßtermin zutage, daß die beiden Rot-Floristen Opfer wildwütiger RAF-Ermittlungen geworden sind.

Wie berichtet, wollen die Hamburger Staatsschützer im Rahmen einer Observation Gauger und Andresen dabei beobachtet haben, wie sie am 29. Juli 1991 in Pinneberg Betonplatten auf die Bahngleise gelegt haben. Doch die Fahrt der vier Geheimpolizisten nach Pinneberg war vom eigentlichen Observationsauftrag gar nicht gedeckt und damit rechtswidrig. Die vier Beamten hatten nämlich im Auftrag des Bundeskriminalamts und per Observationauftrag vom 26. Juni 1991 lediglich festzustellen, ob ein Mann, den die Bundespolizei dem Bielefelder „RAF-Umfeld“ zuordnete, nach Hamburg in die Bernstorffstraße gezogen ist - mehr nicht!

Diese „Zielperson“ war den RAF-Fahndern in Bielefeld aufgefallen, weil sie mehrfach Holger Deilke in Hamburg im Untersuchungsgefängnis besucht hatte. Deilke war damals wegen Mitgliedschaft in der Rote-Armee-Fraktion in der Elbmetropole angeklagt. Die vier Hamburger Staatsschützer verwechselten aber ihre „Zielperson“ und observierten irrtümlich den Rot-Floristen Knud Andresen über mehrere Tage. Erst nach der von den Geheimpolizisten in Pinneberg getätigten Festnahme, bemerkten die Staatsschützer ihren peinlichen Fehler.

Um die Scharte auszuwetzen, wurde am 1. August - Gauger und Andresen befanden sich bereits in Untersuchungshaft - ein neuer Observationsauftrag geschrieben. Dieses Mal lautete der Auftrag, die Meldeadresse des Bielefelders zu überprüfen sowie Kontaktpersonen zu registrieren und Anlaufadressen in „Hamburg und Umgebung“ festzustellen. Im Klartext: Nach der Festnahme der Rot-Floristen wurde versucht, die rechtswidrige Observation bis Pinneberg auf eine Rechtsgrundlage zu stellen.

Und das ist nach Meinung der Verteidigung unzulässig. Anwältin Ursula Erhardt: „Wenn eine Observation rechtswidrig war, ist auch ein Zufallsfund rechtswidrig erlangt.“ Für die Juristin ist der Fall

1daher klar: „Die Observation war rechtswidrig, dann liegt ein Verwertungsverbot vor.“

Ob das Itzehoer Landgericht diesem Punkt allerdings große Bedeutung zumessen wird, bleibt abzuwarten. Die Itzehoer Richter hatten ohnehin angekündigt, Gauger und Andresen freizusprechen, weil

1beide ein plausibles Alibi vorgelegt hatten und das Gericht den Konstrukten der Staatsschützer keinen Glauben schenkt. Die Rot-Floristen hatten sich nämlich nachweislich zur genannten Zeit 1000 Meter vom Tatort entfernt an einem Rosenfeld aufgehalten. Der Prozeß geht heute weiter. Kai von Appen

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen