■ Kommentar: Hirschfeld – igitt
Wieder einmal beweist Berlin, daß es Hauptstadt von Hintertupfistan ist: Es weigert sich, seit Jahren schon und nun erneut, das Vermächtnis eines großen jüdischen Reformers auch nur in Ansätzen zu erfüllen. Magnus Hirschfeld, der von den Nazis vertriebene Pionier der modernen Sexologie, hatte nämlich in seinem Testament festgehalten, daß das Vermögen seines „Instituts für Sexualwissenschaft“ zur Einrichtung eines entsprechenden Lehrstuhls verwendet werden solle. Nichts dergleichen geschah – bis heute.
An der Freien Universität scheiterte die Neugründung seines Instituts unter anderem am damaligen Unipräsidenten Dieter Heckelmann und an der Humboldt-Universität unter anderem am eigennützigen Interesse einiger Professoren. Auch sonst scheinen die Herrenrunden im Senat und den Behörden von heftigen Berührungsängsten gegenüber diesem Wegbereiter der Emanzipation homosexueller Männer und Frauen geschüttelt zu werden. Während heute noch zauderfrei zackige Militaristen per Straßenschild geehrt werden, darf noch nicht einmal ein Trampelpfädlein seinen Namen tragen. Wahrscheinlich aus Angst, die Spaziergänger dort könnten die Richtung wohlgeordneter Wohlanständigkeit verlieren und auf Abweichungen in schummrigschauriges Zwielicht geraten. Selbst das von einem geschickten Handwerksburschen in wenigen Minuten erledigte Anbringen einer Gedenktafel benötigte in diesem Falle fünf Jahre: So lange hatte sich die Eigentümergemeinschaft von Hirschfelds früherem Wohnhaus dem Ansinnen verweigert, daß die Gründung des „Wissenschaftlich-Humanitären Komitees“ – immerhin die weltweit erste Schwulenorganisation – daselbst erwähnt werden durfte. Das letzte Ereignis ist nun die Kündigung sämtlicher ABM-Stellen, auf denen die MitarbeiterInnen der „Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft“ sich forschend gemüht hatten, die Geschichte seines Instituts dem kollektiven Verdrängen zu entreißen. Mit der für nächstes Jahr geplanten Ausstellung zum 75. Jahrestag der Institutsgründung hätte Berlin die Chance einer kleinen Wiedergutmachung gehabt. Wenn diese allerletzte Entscheidung nicht rückgängig gemacht wird, wird die Exposition dank der Vorausschau einiger sicherlich ungemein glücklich verheirateter Bürokraten niemals stattgefunden haben. Ute Scheub
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