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Abkanzelndes Schubladendenken-betr.: "Aus den Augen, aus der Welt" (Index on Censorship) von Marcia Pally, taz vom 30.1.93

betr.: „Aus den Augen, aus der Welt“ (Index on Censorship) von Marcia Pally,

taz vom 30.1.93

Da sind wir ja wieder einmal mit ganz klaren Grenzlinien konfrontiert. In Marcia Pallys Artikel wimmelt es von dualen Schablonen: rechte Feministinnen vs. linke Feministinnen, Anti-Pornographie =Anti-Sexualität, Konservative vs. Fortschrittliche. [...]

Vieles von dem, was Pally beschreibt, muß ich ihr einfach glauben, da es ja auf den amerikanischen Raum beschränkt ist. Bei uns gibt es diese Debatte zwischen rechten und linken Feministinnen nicht in dieser klaren Frontstellung und zum Glück auch diese flotte Unterteilung weniger. Das liegt vermutlich daran, daß es der Feminismus hier insgesamt schwerer hat. Frau kann sich dieses abkanzelnde Schubladendenken nicht erlauben.

Auch in Deutschland ist es sicher berechtigt, davor zu warnen, in eine antipornographische Haltung schlichte Sexualitätsfeindlichkeit eindringen zu lassen. [...] Was der einen Frau gefällt, findet die andere schon erniedrigend.

Aber dieses Reden von „sexuell eindeutigem Material“ vernebelt meines Erachtens, womit wir es zu tun haben. Es setzt Nacktheit gleich Nacktheit, und die liebe Frau Pally macht das etwas zu weitgehend mit. Bei den „Rechten“ gilt jede Nacktheit als gefährlich, bei Pally ist es umgekehrt. Dort ist der Aufeinanderbezug von Bild und Welt total, bei Pally ist er total verschwunden.

Das „sexuell eindeutige Material“, welches uns die Privatsender in die Wohnstube liefern, ist mit aller semiotischen Bildanalyse dieser Welt zu 95 Prozent nur als äußerst degradierend in bezug auf die Darstellung der Frau beschreibbar. Sie kommt fast ausschließlich als dummes Püppchen vor, als Frucht verkleidet, hüpft sie mit entblättertem Busen an bekleideten Herren vorbei (Tutti Frutti). Sex kommt als lachhafte Schmuddelveranstaltung daher.

Man erzähle mir bitte nicht, Bilder würden nicht schaden. Sie schaden vermutlich nicht in diesem platten Sinne, von dem die in Pallys Artikel zitierte Wissenschaft sich um den Nachweis desselben bemüht. In der Medienforschung wird heute allgemein ein interaktionstheoretischer Zugang bevorzugt. Es läuft nicht so, daß der Konsum von Vergewaltigungsszenen den Zuschauer zum Vergewaltiger macht. Er integriert diese Bilder in seine sonstigen Wissensbestände und Gefühlsstrukturen. Aber die mediale Bilderflut muß als ein Komplex der Organisation von mentalen Repräsentationen gesehen werden. Sie kann Aggressionen kanalisieren helfen. Die dauernde Präsentation von Frauen als Objekte der Aufgeilung, von Sexualität, die nicht an Zuneigung gekoppelt ist, sondern an Abneigung, verstärkt und festigt Denk- und Empfindungsweisen von denjenigen, die auch sonst Frauen als zweitrangig erleben und Sexualität als schlecht. Bilder sind nicht unschuldig, aber sie sind auch nicht allein schuldig. Da Marcia Pally sich für den Playboy als Mainstream-Publikation einsetzt, habe ich meine Zweifel ob ihrer Sensibilität in bezug auf sexuelle Entwertungsrituale.

Ein Grundzug von Pornographie ist ihr Ausgegliedertsein aus sonstigen Kontexten. Darstellungen von Sexualität, so die implizite Botschaft, brauchen den ausgegrenzten Raum. Pornographie hat schon deshalb mit einer ins Leben integrierten lustvollen Sexualität wenig zu tun.

Ich kann die Frage, ob, wann und wo Zensur ausgeübt werden sollte und vor allem von wem, so einfach nicht beantworten. Aber ich denke, daß der allen Menschen direkt zugängliche Bilderraum humanistischen Vorstellungen zu entsprechen hat. Keine Gruppe sollte total vereinseitigt repräsentiert werden. Genauso wenig, wie wir AusländerInnen dauernd als Kriminelle oder als solche, die unseren Sozialstaat bedrohen, medial vermittelt bekommen wollen, genauso wenig sollten wir uns damit abfinden, Frauen als gefälliges Ornament, zweitrangiges Attribut, zu befingerndes Sexspielzeug oder gar als Zielscheibe sexueller Aggressionen präsentiert zu bekommen. Und in diesen „linken“ programmatischen Aufschrei bei dem Wort „Zensur“ kann ich nicht einstimmen. Ich hoffe, daß die anderen Frauen der amerikanischen Anti-Zensur-Bewegung differenzierter argumentieren als Marcia Pally. Dr.Helga Kotthoff, Konstanz

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