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„Manchmal ist Gesetzesbruch richtig“

In Norwegen plant die Regierung Massenausweisungen von Kosovo-AlbanerInnen/ Eine breite Protestbewegung will das verhindern/ Bischöfe verstecken Flüchtlinge  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Zu einer Sympathiewelle für im Lande lebende Flüchtlinge hat der Beschluß der norwegischen Regierung geführt, 2.000 kosovo-albanische Asylsuchende auszuweisen. Am Wochenende gab es in Oslo, Trondheim, Tromsö und Vaerdal – Demonstrationen. Ende letzter Woche waren bereits Kosovo-AlbanerInnen in verschiedenen Flüchtlingsunterkünften in Hungerstreiks getreten. Dieser Aktion haben sich am Wochenende auch norwegische BürgerInnen angeschlossen.

Gestern veranstalteten Schulen Protestaktionen, um gegen die Ausweisung von SchülerInnen zu demonstrieren. Bischöfe forderten die Regierung auf, ihren Beschluß zurückzunehmen, und die ersten Kosovo-AlbanerInnen fanden Zuflucht in Kirchen. Justizministerin Grete Faremo lud auf Grund der Protestwelle VertreterInnen von Flüchtlingsorganisationen gestern zu einem „Informationsgespräch“ ein.

Gleichzeitig wuchs die Welle zivilen „Ungehorsams“. Prominente, darunter SchauspielerInnen, SchrifstellerInnen und JournalistInnen, riefen dazu auf, Flüchtlinge zu verstecken, um sie vor der Ausweisung zu schützen. 18 Kosovo-AlbanerInnen aus einer nordnorwegischen Flüchtlingsunterkunft wurden über die Grenze nach Finnland geschmuggelt und dort versteckt. Am Sonntag wurde eine schwedische Pfarrerin in Norwegen verhaftet, mit einer Geldstrafe von 10.000 Kronen und einem Einreiseverbot bestraft, weil sie eine Flüchtlingsfamilie über die Grenze geschmuggelt hatte. Der für sie zuständige Bischof äußerte im Rundfunk Verständnis und Unterstützung für das Handeln seiner Pfarrerin. Es gebe Situationen, in denen „ist Gesetzesbruch richtig“, um Menschen zu helfen, sagte der Kirchenmann.

Fluchtweg Ostsee dichtmachen

Auf politischer Ebene gehen die Bemühungen der skandinavischen Regierungen weiter, den Weg von Flüchtlingen über die Ostsee zu stoppen. Nachdem Schwedens Ministerpräsident Carl Bildt das Thema in der letzten Woche anläßlich eines Moskau-Besuchs mit Präsident Boris Jelzin debattiert hatte, reist in dieser Woche seine Einwanderungsministerin Birgit Friggebo in die drei baltischen Staaten, um über Maßnahmen für eine Blockade des Fluchtwegs Ostsee zu beraten.

In der vergangenen Woche bekam Lettland ein schwedisches Patrouillenboot geschenkt, um seine Grenzen besser bewachen zu können. Zwei weitere sollen in Kürze an Estland verschenkt werden. Möglicherweise will Schweden weitere vier ausgemusterte Kriegsschiffe als „Nachbarschaftshilfe“ verschenken. Auch zusätzliche Beistandszahlungen werden davon abhängig gemacht, daß die Länder ihre Grenzen dichtmachen. „Wir wollen schließlich stabile Verhältnisse in unserer Nachbarschaft haben“, so ein Sprecher des Stockholmer Außenministeriums.

Lettland bewacht auf skandinavischen Druck hin zwischenzeitlich die Zugänge zur russischen Flottenbasis Bolderaja, über die angeblich ein Großteil des illegalen Flüchtlingsverkehrs mit Hilfe russischer Soldaten abgewickelt worden ist. Estland dagegen hat die Flüchtlinge zum Druckmittel gemacht, um mehr Hilfe aus Finnland und Schweden zu erhalten.

Ministerpäsident Mart Laar hat gerade bei einem Privatbesuch in Finnland vor der Presse damit gedroht, man werden einige hundert kurdische Flüchtlinge aus dem Irak nach Rußland zurückschicken, falls Finnland sie nicht aufnehmen werde. Den illegalen Flüchlingsverkehr könne sein Land mangels Ressourcen nicht stoppen.

Die baltischen Staaten fürchten, bald noch stärker zu Transitländern für Flüchtlinge in den Westen zu werden. Das russische Parlament hat am 2. Februar die UN- Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Die entsprechende Urkunde wurde mittlerweile in New York hinterlegt, nach Ablauf von drei Monaten tritt die Unterschrift in Kraft.

Mit der Unterschrift wird Rußland nicht notwendigerweise für das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) zum „sicheren Erstasylland“, wie Mari Sandström, Informationschef des Stockholmer UNHCR-Büros, erläutert: „Die Unterschrift ist keine magische Formel, aber das UNHCR wird sich nicht dagegenwenden, wenn dann ein Land Rußland als sicheres Asylland einstuft und von dort eingereiste Flüchtlinge auch dahin zurückschickt.“ Danach würde es ab Mitte Mai den einzelnen Regierungen offenstehen, Rußland zum „sicheren Asylland“ zu erklären. Das dürfte dazu führen, daß viele Flüchtlinge den Weg über die baltischen Staaten in den Westen suchen: Denn dorthin können sie nicht zurückgeschickt werden, weil weder Estland noch Lettland oder Litauen die UN-Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben – bislang.

Beim UNHCR-Büro in Stockholm schätzt man, daß sich mittlerweile 50.000 Flüchtlinge in Rußland aufhalten, von denen die überwiegende Mehrheit in den Westen fliehen will. In der neuesten Ausgabe der Moscow News wird eine wesentlich höhere Zahl genannt: Allein 120.000 Flüchtlinge hielten sich im Gebiet von Moskau auf. Zur Zeit seien über 30.000 Wohnungen in den Vororten der Hauptstadt mit Flüchtlingen belegt.

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