„Für Sozialismus und Markt“

■ Am Wochenende versuchten sich 650 russische Kommunisten an der Wiederbelebung der KPdSU

Moskau (taz) – In glänzender Laune bei strahlender Sonne inmitten der märchenhaften Schneelandschaft an der Kljasminsker Talsperre bei Moskau trat am Sonnabend der harte Kern der russischen Ex-KP in einem Erholungsheim an, um im Verlaufe von zwei Tagen beim „II. (außerordentlichen, Rekonstruktions- und Wiedervereinigungs-) Parteitag der KP der Russischen Föderation“ die eigenen Reihen zu schließen. Jetzt ist es also endlich ernst geworden mit dem Kampf um die gesellschaftliche Führungsrolle der Partei – der in der Vergangenheit angesichts all ihrer Privilegien im Staate ja doch nur eine leere Losung war. Wie der Name sagt, ist es zwar „nur“ die – erst zu Gorbatschows Zeiten gegründete – Kommunistische Partei Rußlands, welche 650 Männlein und Weiblein hier wiederbeleben wollten. Aber die ebenfalls anwesenden Vertreter der RKPB (Russischen Kommunistischen Partei; Bolschewiki) sowie die unentwegte Sankt Petersburgerin Nina Andrejejewa, und auch Viktor Tjulkin von der RKRP (Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei) ließen verlauten, daß sie sich in eine solche Teillösung nur ungern schicken, solange nicht die Gesamt-KPdSU wiederauferstanden ist.

Das Problem, daß der Staat nicht mehr existiert, durch den sich diese Partei seinerzeit definierte, erscheint dabei eher als Nebensache. Denn die Initiatoren des am Sonntag abend beendeten Treffens selbst hatten vorher einen Programmentwurf veröffentlicht, demzufolge die Altkommunisten das Ei des Kolumbus gefunden haben, um dem Zerfall der Union entgegenzuwirken: die Wiedervereinigung der ehemaligen Sowjetunion auf freiwilliger (!) Basis.

Über das endgültige Parteiprogramm gab es dann ein hartes Ringen: Aus der Stellungnahme „gegen die Verwandlung von Grund und Boden in Privateigentum“ wurde im Endergebnis ein Votum „für die unentgeltliche Übergabe des Bodens an staatliche, kollektive, private und andere Farmen zur unbefristeten Verfügung und Nutzung“. Auch von der Privatisierung mochte man nicht mehr ganz und gar Abstand nehmen, man sprach sich lediglich für einen „Stopp der gewaltsamen Privatisierung“ aus. Offenbar haben hier Verschiebungen zugunsten sozialdemokratischer Tendenzen unter den einfachen Mitgliedern der ehemaligen KP Rußlands stattgefunden. Ihre Reihen sind es schließlich, aus deren Potential die Organisatoren dieses Parteitages immer noch schöpfen können.

Darauf, daß 15 bis 20 Prozent der alten Mitglieder wieder mit von der Partie sein werden, hoffte der Diskussionsleiter und ehemalige Sekretär des ZK der KPdSU, Walentin Kupzow. Auch seinen Familiennamen – in der deutschen Übersetzung „Kaufmann“ – darf man wohl programmatisch verstehen. „Wir glauben, daß Sozialismus und Markt miteinander vereinbar sind, dies bestätigt auch die chinesische Erfahrung. Obgleich dies nicht alle Kommunisten verstehen“, merkte er sachkundig an.

Um den oben erwähnten kommunistischen Zwergparteien, die bisher mit der KPRF nicht gemeinsame Sache machten, die Pille zu versüßen, sieht das Programm neben dem altbekannten Fraktionsverbot, dem „Leninschen Organisationsprinzip“ und der „eisernen Disziplin“ eine libertinäre Neuerung von unerhörten Ausmaßen vor: die am Sonntag (neu) gegründete Partei gestattet vorerst die Doppelmitgliedschaft in anderen kommunistischen Parteien, wenn diese im wesentlichen gleiche Ziele verfolgen. Angestrebt wird außerdem eine Allianz mit der „Nationalen Rettungsfront“, einer Sammlungsbewegung von russischen Nationalisten und Kommunisten. Vor diesem Hintergrund gelang am Sonntag die Einigung: Gewählt wurde ein 89köpfiges Zentralkomitee, der neue Vorsitzende heißt Gennadij Suganow.

Aus den Gewölben des Gefängnisses „Matrosenruhe“ ins warme Sonnenlicht trat in dem Sanatorium auch eine Gruppe freigelassener Putschisten. So waren hier erstmals seit der legendären Fernseh- Pressekonferenz im August 91 Ex- Vizepräsident Janajews merklich ruhiger gewordenen Hände in der Öffentlichkeit zu bewundern. Und der einstige Vorsitzende des Sowjetparlamentes, Anatolij Lukjanow, verkündete seine Erkenntnis, die neue Partei dürfe sich nicht auf parlamentarische Kampfformen beschränken.

Ob alt oder neu, eben das ist hier die Frage. Ernest Ametistow ist eines der Mitglieder des Russischen Verfassungsgerichtes, die im November letzten Jahres zwar den Grundorganisationen der russischen KP das Verfassungsrecht auf Existenz zusprachen, aber davon ausgingen, daß ihre alte Parteizentrale dieses verwirkt habe. Eine Gesamtpartei dürfe das Fußvolk also nur gründen, wenn diese eine völlig neue sei und im Rahmen der russischen Verfassung agiere. Schon die Bezeichnung des letzten Wochenendausflugs der Kommunisten als „Wieder“-Vereinigungs- Parteitag widerspreche somit der Verfassung. Barbara Kerneck