: Mielke-Prozeß: Der Zeuge ist keiner
Die Verteidigung im Mielke-Prozeß präsentiert neue Details, die die Aussagen des Hauptbelastungszeugen als unverwertbar erscheinen lassen ■ Aus Berlin Julia Albrecht
Berlin (taz) —Ein Höhepunkt. In seinem Plädoyer konnte Stefan König das Puplikum davon überzeugen, daß 52 Verhandlungstage gegen Erich Mielke nicht im entferntesten Licht in das Dunkel der sogenannten „Bülow-Platz- Morde“ Anno 1931 gebracht haben und zeigen, daß die Basis für einen möglichen Schuldspruch nicht standhält.
Aufs Korn nahm der Verteidiger den vermeintlichen Tatzeugen, Johannes Broll. Seine Aussagen seien nicht verwertbar. Broll, zur Tatzeit am 9. August 1931 noch Mitglied der KPD und angeblicher Augenzeuge der Tat, diente der Staatsanwaltschaft als Grundlage für ihre Behauptung, daß Erich Mielke neben Erich Ziemer einer der Schützen auf die Polizisten Paul Anlauf und Franz Lenck gewesen war. Die Streitfrage allerdings, ob die Aussagen Brolls - entstanden 1933, als bereits die Nazis einen Bülow-Platz-Prozeß insenzierten - tatsächlich verwertbar seien, hatte die Staatsanwaltschaft bejaht. Begründung: da Broll bereits 1933 von der KPD in die NSDAP und SS übergetreten sei, könne keinesfalls geltend gemacht werden, daß er zu seinen Zeugenaussagen, die dem Gericht in Form von Urkunden vorliegen, gezwungen worden war.
Das sieht König anders. Dem interessierten Puplikum erzählte König eine Geschichte, die den bisher nur als banalen Überläufer bekannten Broll in einem gänzlich anderen Licht erscheinen läßt. Zunächst: Broll war niemals Mitglied der SS, seine Mitgliedschaft der NSDAP ist zu keinem Zeitpunkt wirksam geworden.
Weiter: Die vermeintliche Freiwilligkeit dieser bisher angenommenen Übertritte (zumindest der Eintritt in die NSDAP wurde von Broll beantragt) stellt sich nach der Schilderung des Anwalts als Folge einer absoluten Zwangssituation und nicht als ein politischer Sinneswandel dar. Während es in den Ermittlungsprotokollen heißt, daß Brolls Bekanntschaft mit dem SA- Sturmführer Kubick ihn von den nationalsozialistischien Ideen überzeugt hätte, konnte Stefan König diese Auffassung mit neuen Details in Zweifel ziehen. Brolls Bekanntschaft mit dem SA-Mann sei für jenen absolut bedrohlich gewesen. Den Mann, SA-Sturmführer Kubick, der die Ermittlungen für den Bülow-Platz-Prozeß von 1934 führte, hatte Johannes Broll bei der Familie Fischer kennengelernt. Kubick wußte, daß ein gewisser „Jony“ — Brolls Spitzname — bei der Bülow-Platz-Sache dabeigewesen war. Allein schon deshalb, so König, mußte die Begegnung Kubick/Broll für letzteren höchst bedrohlich gewesen sein. Das wird von der Verteidigung mit einem weiteren Faktum angereichert: In dieselbe Zeit fiel auch die Festnahme und Folterung von Arthur Fischer, bei dem Broll nicht nur wohnte, den er vielmehr, wie aus einem Brief hervorgeht, auch als eine Art Ersatzvater betrachtete. Im sogenannten „Schwedenkeller“, in der Schwedenstraße in Berlin wurde Fischer „wochenlang mißhandelt“. Broll wußte also aus eigener Anschauung, was mit mißliebigen Elementen geschah. Keinesfalls, so Königs Argumentation, kann also Broll unvoreingenommen sich mit Kubick politisch auseinandergesetzt haben, um dann dem nationalsozialistischen Ideengut sein Plazet zu geben. Vielmehr mußte er, wollte er seine eigene Haut retten, sich irgendwie mit dieser Figur in Beziehung setzen, so die Schlußfolgerungen Königs.
Aus all dem folgt für König, daß sämtliche Aussagen Johannes Brolls einem Verwertungsverbot unterliegen, für die Feststellung, daß Mielke einer der Bülow- Platz—Schützen gewesen sei, also nicht herangezogen werden dürfen.
Alle die schon das Ende des Prozesses prognostiziert haben, wurden von König eines besseren belehrt. Um sein Plädoyer zu stützen, stellt der ANwalt ein Dutzend neuer Beweisanträge, deren Erledigung das Prozeßende um Wochen verzögern dürfte
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