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„Lohnverzicht rettet keine Arbeitsplätze“

■ Interview mit Jürgen Peters, Bezirksleiter der IG Metall für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und dort auch Verhandlungsleiter der IGM im Revisionsstreit

taz: Herr Peters, die IG Metall sperrt sich gegen eine Revision der Tarifverträge für die neuen Länder. Sie wollen zum 1.April 1993 26Prozent mehr Lohn, und am 1.April 1994 sollen die Ostlöhne dann 100 Prozent des Westniveaus erreichen. Haben Sie schon einmal ausgerechnet, wieviele Metaller durch diese Lohnpolitik beim Arbeitsamt landen werden?

Jürgen Peters: Mit der Tarifpolitik hat die seit der Vereinigung im Osten eingetretene Massenarbeitslosigkeit nichts zu tun. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Ostdeutschland brauchen jetzt die von uns 1991 mit den Arbeitgebern vereinbarte Lohnerhöhung schon deshalb, weil die Preise inzwischen Westniveau erreicht haben.

Wenn die Betriebe die Löhne nicht erwirtschaften können, drohen zusätzliche Pleiten. Statt erhöhter Löhne gibt es dann überhaupt keinen Lohn mehr.

Wir haben 1991 einen politischen Vertrag gemacht, wobei klar war, daß der überwiegende Teil der Betriebe den Lohn so ohne weiteres nicht würde zahlen können. Doch der Lohn ist für die Riesenverluste der sanierungsreifen Unternehmen nicht verantwortlich. Wir werden die Sanierungsphase in dem einen oder anderen Fall durch die Lohnerhöhungen allenfalls etwas verlängern.

Die Arbeitgeber sagen, daß drei Viertel der privatisierten Metallunternehmen die geforderten Löhne nicht aufbringen können. Treibt die IG Metall diese Betriebe in den Konkurs?

Die Arbeitgeber wollten eine langfristige Vereinbarung, um Planungssicherheit zu bekommen. Jeder Arbeitgeber konnte sich ausrechnen, was der Tarifvertrag für seine Lohnkosten bedeutete. Wenn sich einer verkalkuliert hat, kann er das jetzt nicht zu Lasten der Lohnpolitik korrigieren.

Es gibt eine Reihe von Ost-Betrieben, deren Eigentümer zusammen mit den Betriebsräten niedrigere Löhne vereinbart haben. Die scheren sich nicht um Tarifverträge, weil ihnen der Erhalt ihrer Arbeitsplätze wichtiger ist. Daß sich die Rahmendaten verschlechtert haben, muß doch auch die IG Metall zur Kenntnis nehmen...

Diese Betriebe können Sie an den Fingern einer Hand abzählen. Das ist das Gerede von Arbeitgebern, die sich drücken wollen. In den meisten Betrieben sagen die Beschäftigten, daß sie sich keinen Verzicht mehr leisten können. Durch Lohnverzicht Arbeitsplätze zu retten, hat nirgendwo geklappt. Da wurde auf Lohn verzichtet, und dann ist der Betrieb doch in den Konkurs gegangen. Die Gelackmeierten waren unsere Kolleginnen und Kollegen, die dann auf dem niedrigeren Niveau ihr Arbeitslosengeld bekommen haben.

Die Produktivität der Metallbetriebe-Ost hinkt der Produktivität im Westen um etwa ein Drittel hinterher. Bei den Lohnstückkosten übertreffen die ostdeutschen die westdeutschen sogar um etwa 45Prozent. Das kann doch bei Lohngleichheit nicht funktionieren.

Was die Arbeitgeber Ihnen da erzählen, ist doch hinten und vorne nicht sachgerecht. Wir haben eine ungeheure Produktivitätssteigerung in den ostdeutschen Betrieben. Daß die Entwicklung nicht schon heute zu positiven Ergebnissen führt, liegt daran, daß die Betriebe bezüglich der Investition nicht auf Westniveau gesetzt werden. Insbesondere in den Treuhandbetrieben werden die Investitionsmittel nicht freigegeben. Dort wird nur geredet und seit drei Jahren nicht im erforderlichen Umfang investiert. Eine rein produktivitätsorientierte Lohnpolitik kann man im Osten über Jahre hinweg nicht machen. Das war auch den Arbeitgebern klar. Im übrigen sehen die Vereinbarungen ja vor, daß die Angleichung sich nur auf die Ecklöhne bezieht. Dem Westen vergleichbare Vereinbarungen über Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Arbeitszeiten fehlen hier. Wenn sie das mit einbeziehen, dann liegen die Gesamtlohnkosten auch nach der Erhöhung am 1.April 1993 erst bei rund 70 Prozent des Westniveaus. Interview: Walter Jakobs

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