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Reisen in künstliche Bilderwelten

■ Zwischen Experiment und Effekthascherei: Im Schatten der Berlinale findet seit Montag das 6. Videofest im Podewil statt

Die Aufmerksamkeit, die dem jüngeren Bildmedium Video zuteil wird, ist im allgemeinen vergleichsweise gering – doch für den an visuellen Effekten und neuen Erzählweisen interessierten Cineasten lohnt sich ein Ausflug in die auf dem 6. Video-Fest präsentierten Videowelten allemal. Nicht von ungefähr nutzen Avantgardisten wie Wim Wenders und Peter Greenaway in ihren Filmen längst die Möglichkeiten des elektronischen Mediums.

Das Programm des Festes umfaßt Videos aller Genres und Längen, nur schwerlich läßt es sich in Kategorien fassen. Gemein ist den meisten Arbeiten, daß sie unabhängig produziert wurden. Stark vertreten sind künstlerische Arbeiten. Der amerikanische Verleih Electronic Arts Intermix präsentiert einige Klassiker der Videokunst wie „Three Transitions“ von Peter Campus und „Alliiertenband“ von Klaus vom Bruch (23.2. ab 14 Uhr).

Bildende KünstlerInnen waren zu Beginn der sechziger Jahre die ersten, die Video zunächst zur Realisierung konzeptioneller Ideen nutzten. Seit den siebziger Jahren wurden die besonderen ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten des Mediums immer stärker zum Bestandteil künstlerischer Strategien. Heute wird Video gerade wegen seiner spezifischen visuellen Effekte von einer jüngeren Künstlergeneration als zeitgemäßes Ausdrucksmittel intensiv ausgelotet und genutzt.

Doch immer noch wirken viele künstlerische und experimentelle Videos wie bloße Effektspielereien, wie blutleere Aneinanderreihungen immer neuer elektronischer Tricks. Nach wie vor sind Arbeiten, in denen sich formale Experimente und inhaltliche Aussage sinnvoll verbinden, gesuchte Raritäten.

Ein gelungenes Beispiel ist „Travelling Light“ von Theo Eshetu (18.2., ab 20.30 Uhr). Zahllose elektronische Tricks werden hier in selten aussagekräftiger Weise eingesetzt. So gelingt Eshuto ein sehr sinnliches, dabei differenziertes Porträt des Schauspielers Lindsay Kemp. Seine visuelle Kraft verdankt dieses Video vor allem der Nachbearbeitung am computervernetzten Schneidetisch. Das vergleichbare Arbeiten rar bleiben, erklärt sich auch aus den enormen Kosten. Wer mit digitalen Effekten arbeiten will, muß Studiomieten bis zu 2.000 Mark und mehr pro Tag aufbringen.

Video gilt als schnelles Medium, das ein direktes Reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen ermöglicht. Umso mehr erstaunt, daß aktuelle politische Arbeiten im diesjährigen Festprogramm fast völlig fehlen. Zum einen liegt das an den stark formal orientierten Auswahlkriterien der Programmacher, denen zum Beispiel die wenigen zum Thema Neofaschismus eingesandten Produktionen wegen fehlender handwerklicher Qualität „nicht programmfähig“ erschienen.

Zum anderen ist das Fehlen zeitkritischer Arbeiten nur die logische Folge des Verschwindens der politisch motivierten „Videobewegung“. Anfang der siebziger Jahre begann sich in Deutschland eine weitgefächerte Videoszene zu entwickeln. Ziel der Videogruppen war es zumeist, denen eine Stimme zu geben, die in den Massenmedien kein Gehör fanden. Die erfolgreicheren Videogruppen arbeiten inszwischen mit dem Fernsehen zusammen, das sich seinerseits zum Teil kritischen Themen weiter geöffnet hat. Der Versuch, dauerhaft von der Film- und Fernsehindustrie unabhängige Produktions-, Vertriebs- und Abspielstrukturen zu schaffen, ist hingegen gescheitert.

Von den beim Videofest präsentierten Videos kommen die gesellschaftlich engagiertesten wohl aus Lateinamerika – neben Frankreich – ein Schwerpunkt des Festes. Da in den meisten südamerikanischen Staaten die Kommerzialisierung der Filmindustrie und des Fernsehens noch weiter fortgeschritten ist als in Europa, gilt Video dort kritischen Autoren als Alternative. Viele Arbeiten thematisieren die Geschichte der zumeist bis vor kurzem von der Diktatur beherrschten Staaten.

Ein ungewöhnlicher Aufklärungsfilm kommt aus Brasiien. „No Rubber, No Way!“ (17.2., ab 20.30 Uhr) spricht auf erfrischend direkte Weise Straßenkinder an, um sie vor Aids zu warnen. Erstaunlich ist vor allem die Unbefangenheit, mit der sich die AutorInnen ihren unter miserabelsten Bedingungen lebenden Protagonisten nähern. Ebenso ungewöhnliche wie unterhaltsame Reisen in künstliche Bilderwelten verspricht ein aus Computeranimationen zusammengestelltes Programm (18.2. ab 18.30 Uhr), das auch als Hinweis auf die digitale Zukunft der Audiovisionen verstanden werden kann. Für die im Computer errechneten Bilder ist Video nur noch ein Trägermaterial. Christian Hoffmann

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