Der zeozwei-Wochenüberblick #24: Kaum mehr als ein schlechter Witz

Der sogenannte Klimaschutzplan der Bundesregierung aus Union und SPD offenbart politisches Versagen. Was es da jetzt braucht, ist Fundamentalkritik.

Bringen Merkel und Gabriel Eisberge zum Schmelzen? Angesichts der gesteckten Klimaziele bis 2050 lässt der Klimaschutzplan der Bundesregierung jedenfalls zu wünschen übrig Bild: AP

Ein Kommentar von Martin Unfried.

Die vier großen Umweltverbände NABU, Greenpeace, BUND und WWF haben das Richtige getan: sie haben konstruktiv an den Konsultationen des Umweltministeriums in Sachen Klimaschutzplan mitgearbeitet. Nachdem allerdings Kanzleramt und Wirtschaftsministerium den Plan massakriert haben, stehen sie für Anhörungen nicht mehr zur Verfügung. Das ist in der jetzigen Situation völlig richtig.

Dieser Klimaschutzplan wird den Herausforderungen der Dekarbonisierung nicht gerecht. Ohne Zwischenziele auf dem Weg bis 2050 (mit dem Ziel 95 Prozent weniger Treibhausgase als 1990), ohne genaue Vorgaben für Sektoren wie Verkehr und Landwirtschaft und ohne eine ernsthafte Aussage zum Kohleausstieg, ist das Papier ein schlechter Witz. Das ist nicht lustig, insbesondere weil in Sachen Klimaschutz nach Paris nur eine Strategie gefragt ist: No-Nonsense.

Heißt: Konzentration auf das Wesentliche. Wir haben einfach keine Zeit mehr für Nebensächlichkeiten, wenn über die Elefanten im Raum nicht gesprochen wird, also die zentralen Probleme. Diese Elefanten sind hinlänglich bekannt. In ihrem Brief an die Kanzlerin haben die Umweltverbände klar gemacht, worum es geht. Wenn nicht Sofortmaßnahmen eingeleitet werden für die Erreichung der 2020-Ziele, ist die Dekarbonisierung im Sinne der Ziele für 2050 schon jetzt heftig in Verzug. Zu den Jetzt-Notwendigkeiten gehört vor allem auch die schnelle Abschaltung von Kohlekraftwerken.

Unangenehme Wahrheiten

Spätestens 2035, sagen die Umweltverbände, muss die Kohleverstromung in Deutschland komplett beendet sein. Viele Studien bestätigen das. Wer dies bestreitet, muss sich entweder vom Paris-Ziel verabschieden oder sagen, welche anderen Bereiche ihre Treibhausgase stärker vermindern werden. Das tut die Bundesregierung aber nicht. Sie scheut die unangenehmen Wahrheiten.

Eine echte Verkehrswende bedeutet beispielsweise ein mittelfristiges Auslaufen des Verbrennungsmotors. Deutlicher gesagt: ein Verbot der Zulassung von Verbrennungsmotoren und eine Elektrifizierung weiter Teile des privaten Verkehrs. Wer noch bis 2030 oder 2040 Benziner und Dieselautos zulassen will, muss erklären wie Dekarbonisierung überhaupt gelingen soll. Gleiches gilt für das Ausbleiben massiver Investitionen in den öffentlichen Verkehr.

Gemessen an diesen zwei Elefanten sind andere aktuelle Aufreger vernachlässigbar: Ob die Autoindustrie endlich gezwungen wird, den Verbrauch ihrer Spritschleudern ordentlich messen zu lassen und ob die Flotte auf dem Papier im Jahre 2025 jetzt 80 Gramm oder 70 Gramm ausstoßen wird? Peanuts. Zur Wahrheit gehört auch, endlich über Bereiche zu sprechen, die bisher überhaupt nicht angepackt wurden.

Gesetze für den Klimaschutz

Landwirtschaft: Paris ernstnehmen bedeutet konkrete Ansagen zur Reduzierung der Fleischproduktion und der Stickstoffüberschüsse. Auch davon kein Wort im Klimaschutzplan. Paris ernstnehmen bedeutet auch deutliche Ziele für den Gebäudebereich: eine wesentliche Erhöhung der Sanierungsrate, auch durch neues Ordnungsrecht. Und eine Zeitvorgabe für das Auslaufen fossiler Heizungen.

Bleibt der Bereich der Verrechtlichung: Die Umweltverbände fordern ein Klimaschutzgesetz. Am besten meiner Ansicht nach mit Emissionszielen, die als Budget formuliert werden und als Querschnittsaufgabe in der Regierung vom Umweltministerium kontrolliert werden. Zur Sanierung der Finanzen hat sich die Politik in Deutschland sogar eine Schuldenbremse ausgedacht, die ins Grundgesetz aufgenommen wurde.

Der Klimaschutz wird auch in Zukunft ständig anderen Zielen unterliegen, wenn dessen Ziele nicht gesetzlich verankert werden. Auch dies ein Elefant, der im Klimaschutzplan nicht vorkommt. Deshalb braucht es jetzt Fundamentalkritik, und die Formulierung von fundamentalen, politischen Alternativen.

MARTIN UNFRIED ist Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht und politischer Kolumnist von zeozwei.

Der zeozwei-Wochenüberblick von zeozwei-Chefredakteur Peter Unfried.

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„Das Problem der Klimaschutzpolitik ist kein Mangel an Papier und Verträgen. Das Problem ist die ewige Ankündigungsrhetorik – und wenn es konkret wird, schlägt sich Politik in die Büsche.“

 

Robert Habeck, Grüner Energiewendeminister, meint selbstverständlich die anderen, hier die Bundesregierung.

Klimaplan: Michael Müller, lange Jahre führender Klimapolitiker der SPD, im taz-Gespräch mit Nick Reimer über das Scheitern der deutschen Klimaziele.

 

Kohleausstieg: Das Parlament der Niederlande hat mit knapper Mehrheit beschlossen, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken – das setzt einen Kohleausstieg voraus. Der Beschluss ist allerdings nicht bindend.

 

Gaia: James Lovelocks Gaia-Theorie sieht die Erde als einen fragilen, lebenden Organismus und hierarchisch über dem Menschen. Jetzt ist ein neues, faszinierendes Buch erschienen.

 

Grüne Ex-Bundesgesundheitsministerin wird erst durch Hannover „richtige Grüne“:

Die erste Grüne Bundesministerin Andrea Fischer ist erst durch ihren Umzug nach Hannover eine „richtige Grüne“ geworden. „Klar, die ökologischen Themen waren wichtig, aber nicht für mich persönlich“, schreibt sie in der neuen Ausgabe von zeozwei.

 

Sie reagiere auf Forderungen nach „ökologisch korrektem Verhalten“ bis heute allergisch, und die ökologischen Themen seien ihr lange als „Alarmismus, Aufforderung zum Verzicht und Spaßbremsen“ begegnet, resümiert die Ex-Bundesgesundheitsministerin.

 

Geändert hat sich das durch ihren Umzug von Berlin nach Hannover, das sie als „bemerkenswert grün“ kennen- und schätzen gelernt hat. In Hannover mache es ihr „Spaß, eine richtige Grüne zu sein“. „Ich fahre Rad, lerne eine ökologisch verträgliche Sportart wie Rudern, genieße die Natur und liebe inzwischen die kleine Großstadt Hannover“, schreibt Fischer.

 

Andrea Fischer, 56, war von 1998 bis 2001 Gesundheitsministerin der rot-grünen Bundesregierung.

 

Die ganze Geschichte finden Sie in der neuesten Ausgabe von zeozwei – am Kiosk, im tazshop oder auf zeozwei.de.

Prof. Dr. Claudia Kemfert, Kolumnistin von zeozwei, wird mit dem Solarpreis 2016 von Eurosolar ausgezeichnet. Die Wirtschaftswissenschaftlerin erhält einen Sonderpreis für ihr Engagement in Sachen Energiewende. Weitere Preise gehen an die Stadtwerke Burg und die Bürgerwerke Heidelberg. Die Preisverleihung ist am 8. Oktober in Solingen.

Von der zeozwei-Buchliste „10 Bücher für den Herbst“:

 

Jörn Kabisch, kulinarischer Korrespondent von zeozwei, empfiehlt:

Harald Lemke: Ethik des Essens. Einführung in die Gastrosophie, transcript Verlag Bielefeld, 2016. 39,99€

 

Philosophen von heute interessieren sich nicht fürs Essen, außer einer: Harald Lemke. Schon 2007 hat er beschrieben, wie viele Probleme – Klima, Armut, Umwelt, Wachstum – in Ernährungsfragen kulminieren und gefragt, welche Beiträge alte Denker zur Ethik des Essens liefern können. Nun erscheint eine überarbeitete Neuausgabe – mit einem Vorwort, das allein die Lektüre lohnt. Die vollständige Buchliste ist im neuen Heft.

2. Oktober: 100. taz.Salon Hamburg. Gernot Knödler spricht mit den Schriftstellern Lena Gorelik, Rasha Khayat und Zafer Senocak über die Schwierigkeiten, in die deutsche Gesellschaft Einlass zu finden. 16 Uhr, Kulturhaus 73 Schulterblatt 73, Hamburg.

 

taz on tour für eine offene Gesellschaft: Sie wollen, dass die taz bei Ihnen vorbeikommt? Sie haben Redebedarf? Schreiben Sie an: taz.meinland@taz.de

 

Die offene Gesellschaft – welches Land werden wir? Debatte mit Norbert Lammert, 30. September, 13 Uhr, Washingtonplatz am Hauptbahnhof, Berlin.

 

 

That wraps it up for today. Until next week: Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars.