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Watusi, Frug & Molecule Go-Go

■ Der erste Kultfilm im Panorama: „Twist“ von Ron Mann

„Ihr seid die Beute des Teufels“ warnt der Pädagoge im amerikanischen Fernsehen vor dem verderblichen Einfluß der Musik. Doch es geht ihm nicht um hip-hoppelnde Kids, die sich von dirty lyrics anstecken lassen. Die Warnung ist dreißig Jahre alt, und man wußte genau, woher diese abscheuliche Musik kam: „Das Zweitaktmuster wurde von den Kommunisten eingeschleust.“ Der Rock'n'Roll hatte Amerikas Jugend gepackt und war durch wüste Beschimpfungen nicht mehr zu stoppen. Die beste Art, ihn wieder loszuwerden, demonstrierte ein gesetzter Discjockey in seiner Fernsehshow: Er zerschlägt eine Schellackplatte an der Tischkante. „Täten sie es ohne Musik, würden sie verhaftet“, kritisierte auch Bob Hope die „vulgären“ Parkettsitten.

Zu spät. Der Rock'n'Roll hatte die Musikwelt ins Wanken gebracht, ein Tanz wurde Mode, der zum ersten Mal die Körperpartie in Bewegung brachte, die bei den Standardtänzen sittsam steif gehalten wurde: die Hüften. Der Twist brachte den Weißen endlich jenes Körpergefühl bei, das mehr Erotik zuließ als die Schrittkombinationen im Ballsaal. Der Regisseur Ron Mann stellt in seinem Film „Twist“ die Entwicklung des Rock'n'Roll-Tanzes als Revolution dar. Endlich konnten die Kids befreit tanzen, keine Bindung an den Partner, keine komplizierten Schrittfolgen. Die Twist-Regeln bildeten nur den Rahmen, der alles zuließ, wenn man Phantasie auf die Tanzfläche mitbrachte: die Musik fühlen, nicht nur hören. „Wenn du tanzt, ohne die Hüften zu bewegen, tust du nichts“, sagt Hank Ballard, der „Erfinder“ des Twist. Doch nicht Hank Ballard mit seinen anspielungsreichen Songs, sondern die saubere Version Chubby Checkers machte die Musik weltberühmt: „Come on, let's twist“. Der Twist, den schwarzen Kids auf der Straße abgeguckt, wird stubenrein.

„Twist, an indructional dance film“ von Ron Mann, das hört sich nach staubtrockenen Vorlesungen über das Wesen des Tanzes an. Der Titel ist reiner Ulk. Die Lektionen, die den Film in Kapitel unterteilen, sind Archivaufnahmen, ein Tele- Kolleg in Twist, vorgetragen von Erwachsenen, die dem Phänomen im letzten Moment noch einen seriösen Anstrich geben wollten. Zum Brüllen komisch sind die meisten der alten Aufnahmen, die Ron Mann mit Interviews und kurzen, neu gedrehten Tanzszenen der alten Twist-Stars zu einem dichten Film zusammenwebt. Drei Jahre haben die Feinarbeiten am Schnitt gedauert, bis der Film so locker wirkte wie der Tanz. How to do the twist. Es nicht zu tun, war schon damals out. Vor der legendären „Peppermint Lounge“ hielten Abend für Abend die Rolls Royce der gehobenen Schicht, und die Girl-Gruppe „The Nixonettes“ versuchte Nixon während des Wahlkampfes in das Weiße Haus zu twisten.

Keine Welle ohne Profit. Waren es zunächst die Versuche des Fernsehens, den Tanz zu entschärfen, indem man ihn von braven weißen Paaren nachtanzen ließ, kam die Musikindustrie schon bald auf den Geschmack. „Come on let's twist again“ sang Chubby Checker im darauffolgenden Sommer. Mit Genuß zeigt Ron Mann die aberwitzigen Mutationen des Twist. Im Land der tausend Tänze strecken die Teenager ihren Arm von der Nase weg. Das nennt sich dann „The Elephant Walk“. Geboren werden nacheinander der „Watusi“, der „Frug“, der „Fly“, bei dem die Hände kreisen wie eine Fliegenklatsche, und der „Molecule A-Go-Go“, den uns ein dozierender Chemieprofessor empfiehlt, weil er die Bewegung der Atome in einem Wassermolekül nachahmt. Wer will, springt in den Pool und tanzt Unterwasser-Twist. Durch Bullaugen können die Partygäste das Hüftwackeln im Wasser beobachten. In seiner rhythmischen Geschlossenheit und urkomischen Montage ist „The Twist“ fast schon umwerfend. Der aus Kanada stammende Ron Mann hat den ersten Kultfilm des diesjährigen Panoramas präsentiert – ein „Atomic Café“ des Tanzes. Christoph Boy

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