: „Dann lieber arbeitslos sein“
Die Staubsaugerfabrik Hoover schließt ein Werk in Frankreich, produziert statt dessen in Schottland und spielt die ArbeiterInnen gegeneinander aus ■ Aus Dijon Bettina Kaps
Fast ein ganzes Arbeitsleben ist vergangen, seit sich die amerikanische Staubsaugerfirma Hoover in Longvic niedergelassen hat. Damals, vor 29 Jahren, lag das Gewerbegebiet noch einige Kilometer außerhalb von Dijon. Heute ist es an die Stadt herangewachsen. Doch für eine Industriezone ist es hier ungewöhnlich ruhig: die Nachbarfabrik Philips, eine Lampenfirma, hat 203 Angestellte entlassen, die Werkzeugfabrik Perrot hat ihre Tore ebenfalls geschlossen, und bei Hoover ist es nur noch eine Frage von Monaten, bis der Betrieb eingestellt wird.
Schon weit vor dem Firmengelände zeigen Transparente, daß es mit der Routine im Arbeitsalltag vorbei ist. Wurde das rote Firmenabzeichen zuvor von dem Werbespruch „zuerst die Qualität“ begleitet, so steht jetzt daneben: „Amerika ermordet die Region“. Am Tor der Firma hängen Plakate, auf denen Arbeiter ihre Bitterkeit ausgedrückt haben. „Achtung, Sie betreten ein Reservat von Arbeitslosen“, heißt es da und: „So also schreitet Europa voran!“ Gleich hinter dem Wachposten lodert ein Feuer, ein Dutzend Männer und Frauen stehen fröstelnd darum. Sie bilden einen Streikposten, der Tag und Nacht besetzt ist. Es ist ein hilfloses Signal, mit dem die Arbeiter dagegen protestieren, wie die amerikanische Aktiengesellschaft Maytag in Europa wütet.
„Ich habe diese Fabrik geliebt, ich liebe sie immer noch“, murmelt ein graugesichtiger Mann in seinen Schal. „Doch das Verhalten der Firmenleitung, das widert mich an.“ Seit 1967 hat Guy Kayser für Hoover Motoren zusammengesetzt. Im Dezember hatten er und seine KollegInnen das Einfrieren ihrer Gehälter bis Ende 1993 akzeptiert, „weil wir angeblich zu teuer sind. Man muß zu Opfern bereit sein, wenn die Lage schwierig ist.“ Selbst Entlassungen hätte er noch eingesehen – schließlich wissen hier alle, daß der Markt für Staubsauger in Mitteleuropa gesättigt ist. „Aber irgendwo ist Schluß. Unsere Eltern und Großeltern haben den sozialen Fortschritt mühsam erkämpft, das können wir doch nicht alles in kürzester Zeit opfern. Ich weiß nicht, wohin das führen soll.“
Wenda Picard steht seit 18 Jahren bei Hoover am Band, Mauricette Meterran kontrolliert schon 23 Jahre lang Fertigteile. Die beiden Frauen stimmen ihm zu. „Was sich die Schotten da gefallen lassen, das hätten wir nicht akzeptiert. Da sind wir lieber arbeitslos und nehmen eine kümmerliche Rente in Kauf, als daß wir uns solchen Sklavenhaltern ausliefern würden.“
Die Leute vom Streikposten fühlen sich „übers Ohr gehauen“, andere sprechen gar von Verrat, und immer wieder ist vom „Sozialdumping“ die Rede. Denn die 700 französischen Angestellten von Hoover verlieren ihre Arbeitsplätze, weil andere – schottische – KollegInnen dazu bereit sind, sich von Hoover ausbluten zu lassen. Die Fabrik für Bodenstaubsauger in Longvic soll nach Cambuslang bei Glasgow verlegt werden, wo Hoover bereits ein Werk für Klopfsauger besitzt.
Es ist kennzeichnend für den Stil, in dem die Direktion mit ihren Beschäftigten umspringt, wie die Betroffenen in Dijon erfahren haben, daß ihre Arbeitstage gezählt sind: am 23. Januar rief die Korrespondentin einer schottischen Zeitung bei Hoover an und wollte die Kommentare der MitarbeiterInnen zu diesem Transfer einholen – die allerdings waren von der Firmenleitung noch gar nicht über ihr Schicksal informiert worden. Aus der britischen Presse haben sie auch erfahren, was die Schotten in Kauf nehmen, um diese Jobs zu bekommen. Die Zeitungsausschnitte hängen jetzt im Versammlungsraum aus, neben den Pokalen, die die Hoover-Fußballmannschaft in sorgloseren Zeiten erkämpft hat. Für die Schaffung von 400 Stellen wird in Cambuslang das Streikrecht eingeschränkt und die Gewerkschaftsvertretung verringert, heißt es da. Die Firma bestimmt, wer in welcher Schicht arbeitet – so können auch Mütter zur Nachtarbeit gezwungen werden. Ein Teil der Rentenkasse darf in das Kapital der Firma investiert werden – im Konkursfall verlieren die Angestellten also neben der Arbeit auch noch diese Absicherung. Zudem sind die Verträge auf zwei Jahre begrenzt, die Gehälter ein Jahr lang eingefroren; die Firma nimmt sich das Recht, Videokameras zu installieren, um die ArbeiterInnen zu überwachen.
Nach Ansicht der Gewerkschaft CFDT hat die Aktiengesellschaft Franzosen und Schotten monatelang schamlos gegeneinander ausgespielt. Im September hatte Maytag in beiden Werken Unsicherheit verbreitet. Damals kündigte sie an, die Produktion müsse konzentriert werden, eines der beiden Werke werde geschlossen, welches – das sei noch völlig offen. Mit dieser Drohung gelang es Hoover, in Frankreich Zusagen für Subventionen in Höhe von 75 Millionen Francs loszueisen. „Inzwischen sind wir sicher, daß Maytag schon damals beschlossen hatte, Longvic zu schließen“, sagt Paul Garrigues, Gewerkschaftsführer in der Region Côte-d'Or. „Doch mit den französischen Versprechungen in der Hand konnte die Gruppe neben britischen Subventionen noch die Selbstaufgabe der schottischen Gewerkschaften erpressen.“ Denn anders als in Frankreich läßt das britische Arbeitsrecht zu, daß der soziale Schutz heruntergehandelt wird. Am 20. Januar setzte Hoover den Gewerkschaften dort die Pistole auf die Brust: innerhalb von anderthalb Tagen mußten sie ja oder nein sagen zu dem Vertrag – Diskussionen ausgeschlossen. Bei einer Arbeitslosenrate von 20 Prozent hatten die Gewerkschaften wohl keine Wahl.
Obwohl die Schotten den Burgundern die Arbeitsplätze wegnehmen, herrschen in Dijon keine Ressentiments. Statt dessen sind die französischen Angestellten enttäuscht. Daß die Europäische Gemeinschaft das Sozialdumping nicht verhindert. Daß sie solche Praktiken durch die Öffnung der Ländergrenzen für Kapital und Waren sogar begünstigt hat. Daß ein Land wie Großbritannien, das Ausbeutung zuläßt, davon auch noch profitiert. Und daß Leistungsfähigkeit nicht mehr zählt. Denn daß sie gut gearbeitet haben, daran gibt es für die Angestellten keinen Zweifel. „Selbst der Vorsitzende von Maytag hat mehrfach erklärt, daß das französische Werk produktiver ist als alle anderen. Im vergangenen Jahr haben wir immerhin 1,1 Millionen Staubsauger fertiggestellt“, betont Guy Kayser. Und obwohl an dem Todesurteil nicht mehr zu rütteln ist, sorgt sich der französische Direktor noch immer, ob die Bänder auch im vollen Tempo laufen – Besucher läßt Jean Francois deshalb ungern in die Fabrik: „Sie halten mir nur die Leute von der Arbeit ab“, sagt er mit gequältem Gesicht, als er aus der ersten Verhandlungsrunde über die Sozialpläne kommt.
Christian Muller ist Techniker bei Hoover, er hat das Modell „Elite“ und den modernen halbrunden „Galaxy“ mitentwickelt. Der neueste Bodenstaubsauger, sagt er, könnte in zwei Wochen auf der Diskette fertiggestellt sein, die Produktion war für September geplant. „Doch ich habe keine Lust mehr, mein Wissen einzubringen, damit er dann in Schottland gebaut wird. Sollen sich andere darum kümmern.“ Muller ist auch Vertreter der Gewerkschaft CFDT. Er bedauert, daß es ihm nicht gelungen ist, rechtzeitig Kontakt zu den schottischen Gewerkschaften aufzunehmen. „Wir haben es über die Europäische Föderation der Metallurgie versucht, wir haben drei Briefe geschickt und gefaxt, wir haben zig mal angerufen – nie haben wir Antwort erhalten, nie jemanden erreicht“, sagt er. „Die haben uns wohl als Konkurrenten um die Jobs betrachtet.“ Durch einen rechtzeitigen Dialog hätten die Arbeitnehmer vielleicht erkannt, daß sie erpreßt wurden, gemeinsame Aktionen hätten das Schlimmste verhindern können: „Denn Verlierer bei diesem Transfer sind wir doch alle: die französischen Angestellten, weil sie ihre Arbeit verlieren, aber genauso die schottischen Angestellten, weil sie ihre sozialen Errungenschaften verloren haben. Gewinner ist allein die Multinationale Maytag, die denken einzig an ihren Profit. Das menschliche Leid, das sie dabei bewirken, schert sie einen Dreck.“
Die meisten der älteren Angestellten von Hoover haben beim französischen Referendum im September gegen Maastricht gestimmt. Heute sehen sie sich bestätigt.
Der Bürgermeister der Gemeinde, Maurice Colson, hat gegen seine Überzeugung für Maastricht plädiert, weil er „an die Zukunft der Jugend“ gedacht habe. „Doch ich habe mich getäuscht, heute bedauere ich mein Ja“, sagt er. Colson kann nicht verstehen, wie die elf EG-Staaten zulassen können, daß Großbritannien aus dem „Abkommen über die Sozialpolitik“ im europäischen Unionsvertrag aussteigt.
Doch selbst die Sozialcharta ist ja nicht zwingend. „Das eigentliche Problem liegt darin, daß es innerhalb der Gemeinschaft keine Übereinkunft in Sachen Sozialpolitik gibt“, meint der Bürgermeister. Bestes Beispiel: Die Zwölf konnten sich noch nicht einmal auf eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden einigen. Neben Großbritannien betrachten auch Spanien, Portugal und Griechenland geringe Lohnkosten und ein kaum vorhandenes Arbeitsrecht als Pluspunkte, die Unternehmen anziehen können. Allerdings war die Forderung nach einer europäischen Sozialpolitik auch bei den französischen Politikern vor der „Affäre Hoover“ reines Sonntagsgerede.
Das Vorgehen von Maytag verurteilt Maurice Colson als „wirtschaftliches Gangstertum“. Wie der Gewerkschafter Christian Muller, so hat auch er den Verdacht, daß Maytag mit seiner Operation vor allem finanzielle Interessen verfolgt und sein Kapital aus Europa abziehen will. „Aus industriepolitischer Sicht spricht alles dagegen, die Fabrik nach Nordeuropa zu verlegen“, argumentiert Muller. Der einzig interressante Markt für Staubsauger liege heute in Südeuropa, und da sei Dijon natürlich näher dran.
Der Bürgermeister meint, für ein Unternehmen sei es einfacher, sich aus Großbritannien zurückzuziehen als aus Frankreich. „Wer weiß, ob die Schotten nicht bereits in zwei Jahren, wenn ihre Verträge auslaufen, ebenfalls auf der Straße stehen.“
Notre qualité fait notre renommée, unsere Qualität bewirkt unseren guten Namen, steht noch an manchen Maschinen in der Fabrik. Doch mit dem Renommee ist es in Frankreich erst mal vorbei. Neben Colson haben auch linke und rechte Parteichefs die Franzosen aufgefordert, Hoover zu boykottieren. Denn das sei derzeit in Europa die einzige Möglichkeit, Sozialdumping zu sanktionieren.
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