: Richter verurteilt Bedrohung durch Atomkraft
■ Unerwarteter Freispruch für sechs Mitglieder der Gundremminger Mahnwache
Günzburg/Gundremmingen (taz) – Überraschend wurden Montag abend sechs AKW-BlockiererInnen vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Der vorsitzende Richter des Günzburger Schöffengerichts, Gisbert Schöler, fand in seinem Urteil deutliche Worte gegen die Atomkraftnutzung.
Ein völlig unerwarteter Vorgang im Landkreis Günzburg, wo die meisten Leute große Stücke auf ihr Atomkraftwerk in Gundremmingen halten, das viel Geld in die Region brachte.
Der Vorwurf der gewaltsamen verwerflichen Nötigung gegen die zwei angeklagten Hebammen und ihre vier männlichen Mitstreiter sei nicht aufrechtzuerhalten, befand der Richter nach einer zwölfstündigen Verhandlung – weil die Verwerflichkeit fehle und ebenso die Gewalt. Das Motiv der Mahnwache-Mitglieder sei ein „ernsthaftes Anliegen“, das schon dadurch dokumentiert sei, daß sie seit dem dritten Jahrestag des Reaktorunglücks von Tschernobyl allwöchentlich vor dem Atomkraftwerk Gundremmingen ausharren. Sie tun das bei jedem Wetter. Mit diesen Aktionen, so der Richter weiter, brächten die Angeklagten ihre Sorgen und Gewissensnöte zum Ausdruck. Dabei handle es sich, anders als beispielsweise bei blockierenden Fernfahrern, um „kein eigennütziges Engagement“.
Außerdem befand Richter Schöler in seiner Urteilsbegründung, daß „die Bedrohung durch die Kernkraft ja tatsächlich sehr bedeutsam und ernst zu nehemn ist“. Auch wegen Hausfriedensbruchs wollte das erweiterte Schöffengericht die Angeklagten nicht verurteilen. Sie hätten lediglich eine weiße Linie und ein Schild mit der Aufschrift „Betreten nur mit Genehmigung der Werksleitung“ übertreten. Damit folgte der Richter der Argumentation der Atomkraftgegner, die die Auffassung vertreten hatten, daß nicht plötzlich das bestraft werden könne, was jahrelang geduldet war, nämlich der friedliche Protest vor dem Werkstor.
Nach den Plädoyers der Staatsanwältin Sabine Lutzenberger hatten die Beklagten noch ein ganz anderes Urteil erwartet. In ungewöhnlicher Schärfe sprach Frau Lutzenberger, die sich schon bei den Memminger Abtreibungsprozessen als rigorose Hardlinerin hervorgetan hatte, von „Berufsdemonstranten“. Sie forderte für die Angeklagten Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen und sogar dreimonatige Haftstrafen. Aber sie konnte sich bei den zwei hauptberuflichen und zwei ehrenamtlichen Richtern damit nicht durchsetzen. Klaus Wittmann
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