: Wer gehört heute zu Europa?
■ Immer wurde auf der Budapester Konferenz über "illegale Wanderungsbewegungen" der "Menschenschmuggel" in den Vordergrund gerückt. Dem Westen ging es aber vorrangig um Strategien, sich Flüchtlinge vom Hals...
Wer gehört heute zu Europa?
Zu den Paradoxa der postkommunistischen Entwicklung in Osteuropa gehört, daß diejenigen, die 1989 mithalfen, Grenzzäune und Mauern einzureißen, nun vom Westen gezwungen werden, sie wieder aufzubauen. Die Europäische Innenministerkonferenz gegen illegale Migration in Budapest hat die Erfüllung dieses Paradoxons nicht nur einfach festgeschrieben, sondern sie zu einer der vordringlichsten europäischen Aufgaben erklärt.
Immer wieder wurden in Budapest „Menschenschmuggel“ und „kriminelle Machenschaften von Menschenhändlern“ in den Vordergrund gerückt. Das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auf der Konferenz im wesentlichen darum ging, wie westliche Länder sich Flüchtlinge vom Hals halten können. Denn niemand hätte ernstlich zu behaupten gewagt, daß es gerade und ausschließlich Menschenhändler wären, die für die illegale Migration verantwortlich sind. Der vom deutschen Innenminister Rudolf Seiters vor der internationalen Presse beschworene europäische Wille, einig gegen illegale Flüchtlinge vorzugehen, konnte nicht einmal nach außen hin glaubhaft präsentiert werden; die Stimmung insbesondere der südosteuropäischen und GUS-Länder brachte der albanische Innenminister Bashkim Kopliku im Gespräch mit der taz auf den Punkt. „Der Westen hat uns gesagt, wir sollen den Kommunismus zerstören, dann wird uns geholfen werden. Jetzt hat Europa uns vergessen. Emigration ist nicht nur durch Polizeigewalt zu lösen. Wir verlangen ökonomische Hilfen, denn die wirtschaftliche Not ist die Ursache der Emigration aus unseren Ländern.“
Solche Worte der Enttäuschung werden freilich kaum Wirkung zeigen. Rudolf Seiters sah sich genötigt, in Budapest noch einmal darauf hinzuweisen, daß es bei der Konferenz nicht um „Diskussionen über Wirtschaftshilfe“ ging. Um so zynischer erschien dabei seine Bemerkung, man müsse die Lebensperspektiven für jene Menschen verbessern, die glaubten, ihr Lebensglück nicht mehr in ihrer Heimat finden zu können.
Doch auch über die finanzielle Unterstützung, die den osteuropäischen Ländern bei der wirksameren Bekämpfung illegaler Emigration zukommen soll, brachte die Konferenz keine Entscheidung zustande.
Wenn immer wieder betont wurde, die Richtlinien der „Berliner Arbeitsgruppe gegen unkontrollierte Wanderungsbewegungen“, auf die sich die Delegierten in Budapest einigten, seien Empfehlungen, so bleibt doch kein Zweifel an ihrem verbindlichen Charakter. Die unter ungarischer Führung zu bildende Arbeitsgruppe gegen illegale Migration wird sich im wesentlichen damit beschäftigen, die Durchführung der Empfehlungen in den einzelnen europäischen Ländern zu überwachen. Zu ihrer Hauptaufgabe gehört dabei, wie Seiters betonte, den Abschluß bilateraler und multilateraler Abschiebeabkommen voranzutreiben.
Ebenfalls zementiert wurde die Rangordnung der osteuropäischen Länder. Auf Initiative der Tschechischen Republik werden sich Polen, die ČR, die Slowakei, Ungarn und Slowenien demnächst in Prag treffen, um ihrerseits darüber zu beraten, wie ein „Flüchtlingsstau“ in ihren Ländern verhindert werden kann. „Die Idee der Lastenteilung“, wandte sich der polnische Innenminister Andrzej Milczanowski an die westlichen Delegierten, „kann nicht bedeuten, daß die Last, die aus unkontrollierter Migration resultiert, auf unsere Länder abgewälzt wird.“
Wie wenig Druck allerdings die mittelosteuropäischen Länder auf den Westen ausüben können, zeigt die Tagesordnung der Prager Konferenz: dort sollen nämlich Abschiebeabkommen mit den GUS- und den südosteuropäischen Ländern beraten werden.
In welch schizophrener Lage sich die mittelosteuropäischen Länder dabei befinden, drückte der tschechische Innenminister Jan Ruml aus. „Es ist aussichtslos, die wirtschaftliche Lage in den Herkunftsländern der Flüchtlinge schnell zu verbessern. Jetzt sind schnell praktische Schritte gegen Asylmißbrauch notwendig. Das moralische Dilemma, in dem wir uns befinden, ist uns auch, aber nicht nur, von Deutschland aufgezwungen worden. Es handelt sich dabei um die Frage, wer eigentlich zu Europa gehört.“ Keno Verseck, Budapest
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