: Die Bahn soll dreigleisig fahren
■ Bundeskabinett verabschiedet Günther Krauses Gesetz zur Bahnreform / Länder und Kommunen müssen den Nahverkehr bezahlen / Bonner Arbeitsgruppe erforscht neue Sondersteuern für Autos
Bonn/Berlin (dpa/taz) – Heinz Dürr, der deutsche Sanierer mit angeschlagenem Image, dachte an Willy Brandts goldene Worte. Reichs- und Bundesbahn sind zu einer Schuldenlast von 70 Milliarden Mark zusammengewachsen, nun aber, meint der Bahnchef, müsse „aufgebrochen werden, was sich verfestigt hat“.
Günther Krause, dem Verkehrsminister, war's recht. 1994 Jahr will er die deutschen Ost- und Westbahnen zu einem „Sondervermögen Bundeseisenbahnen“ zusammenlegen – Grundlage für die Privatisierung des deutschen Schienenverkehrs. Gestern hat das Bundeskabinett das entsprechende Gesetz genehmigt.
Wesentlicher Teil der Reform ist ein Änderung des Grungesetzes, das bislang den Eisenbahnverkehr als „Gemeinwohlauftrag“ des Staates definierte. Vor allem diese Verpflichtung soll entfallen. Stimmt der Bundestag zu – wegen der Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich – müßten deutsche Eisenbahnen schon im nächsten Jahr nur noch Geld verdienen. Wen und was sie wohin befördern, wäre dann Sache unternehmerischer Entscheidungen.
Krause und Dürr wollen der Bahn Profitzentren verpassen. Spästestens im Jahr 2002 sollen drei voneinander unabhängige Kapitalgesellschaften versuchen, die Konkurrenz der Straße auszustechen. Eine Aktiengesellschaft hätte den Personenverkehr zu organisieren, eine zweite den Gütertransport, eine dritte würde die Schienen vermieten.
„100 Milliarden“ Mark ließen sich so einsparen, rechnet Heinz Dürr. Finanzminister der Länder und Kämmerer der Kommunen werden die Hände ringen. Die Kosten fallen bei ihnen an, denn Dürrs Aktiengesellschaften werden sich auf die schon heute relativ profitablen Hauptstrecken beschränken. Der Nebenverkehr auf dem Lande und im Umland der kleinen und mittleren Städte soll „regionalisiert“ werden. Über einen Ausgleich vom Bund an die Länder und Kommunen wird noch gestritten.
Regionaler Nahverkehr sei ein „staatlicher Infrastrukturauftrag“, so der SPD-Verkehrsexperte Daubertshäuser nach der Verkündung des Kabinettsbeschlusses. Krauses Reform lasse jeden Hinweis vermissen, wie denn diese Aufgabe gelöst werden solle. Das Bahn-Gesetz sei deshalb für die SPD-Fraktion „nicht zustimmungsfähig“.
Aber auch die Finanzexperten aller Parteien werden mit den Rechenkünsten des Verkehrsminister ihre liebe Mühe haben. Die Bahngesellschaften sollen sofort entschuldet und danach zunächst Eigentum des Bundes bleiben – 9,5 Milliarden jährliche „Kreditermächtigung“, so Krause, müsse der Finanzminster ab 1995 dafür schon genehmigen. Er selbst will 1994 „im Verkehrsbereich acht Milliarden Mark zusätzlich erwirtschaften“. Die bereits legendäre Autobahn-Vignette allein dürfte dieses Geld nicht einspielen. Am dritten März will eine „Arbeitsgruppe Straßenbenutzungsgebühr“ neue Geldquellen offenbaren.
Aber auch sich selbst haben die Beamten nicht vergessen. Eine neu einzurichtende Bundesbehörde soll die Umsetzung des Bahnpersonals verwalten, das bislang Beamtenstatus genoß. Im Gespräch ist eine Staatsbeschäftigungsfirma, die die Differenz zu den gewerblichen Tariflöhnen der künftigen Privatbahner bezahlt. nh
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