: "Europudding" aus Afrika?
■ Afrikanisches Kino und europäische Filmpolitik
Außen, Nacht: eine schwach beleuchtete Tankstelle, wie sie in vielen Teilen dieser Welt zu finden ist. Draußen im Halbdunkel zwei kleine Ganoven, die sich darauf vorbereiten, die Tageseinnahmen zu rauben. Es geht alles sehr schnell – die beiden, zwei junge Schwarze, fliehen mit dem Geld; man hört einen Schuß, der, wie man später erfährt, im Handgemenge den Tankwart tötet.
So beginnt Idrissa Ouedraogo, einer der Hoffnungsträger eines jungen afrikanischen Kinos, seinen neuesten Film „Samba Traoré“. Es hätte ein wunderbarer Film werden können, wäre der Autor nicht in jene Stereotypen verfallen, die den Ruf eines afrikanischen Kinos dereinst zwar begründeten, hier aber nur als zum x-sten Mal wiederholt werden.
Sambas Rückkehr in sein Dorf, der Versuch, sein Leben neu zu gestalten – alles das ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt – und für die Zuschauer allzu leicht durchschaubar. Die Kraft und Poesie der Bilder eines Filmes wie „Yaaba“, mit dem Uedragogo seinen internationalen Durchbruch schaffte, scheinen völlig vergessen.
„Samba Traoré“ ist symptomatisch für die gegenwärtige Situation des Kinos in Afrika. Wenngleich man die Kinematographien der schwarzafrikanischen Länder differenziert betrachten muß, lassen sich doch Gemeinsamkeiten feststellen. Heute wird kein Film mehr ohne die finanzielle und technische Hilfe der ehemaligen „Mutterländer“ gedreht. Die Ausnahme bilden Nigeria und Ghana, wo sich ein kleiner kommerzieller Filmsektor nach wie vor behaupten kann. Eine eigenständig funktionierende Film-Infrastruktur, von der Produktion über die Labors bis hin zur Ausbildung des Filmnachwuchses, besitzt heute kaum ein afrikanisches Land südlich der Sahara.. Und das, obwohl vor rund 30 Jahren eine Gruppe junger Filmemacher, zumeist aus westafrikanischen Ländern stammend, mit ihren in Paris, London und Moskau erworbenen Filmdiplomen zurückkam und begann, Filme zu drehen.
Sembene Ousmane, Paulin Vieyra – beide aus dem Senegal und zu den wichtigsten Begründern eines afrikanischen Kinos zu rechnen – Oumara Ganda, Med Hondo, Ola Balogun und später Souleyman Cissé, Gaston Kaboré und Idrissa Ouedraogo – diese Namen stehen für den Aufbruch eines bis dahin unbekannten Film-Kontinents. Ihre Filme standen im krassen Gegensatz zum europäischen und amerikanischen Kino – obgleich sie sich dessen zu bedienen wußten. So bekam die Zeit und der filmische Raum eine andere Bedeutung, der Einsatz der Totalen, der sparsame Gebrauch des Filmschnitts, die Entwicklung der Haupt-Charaktere. Verglichen wurden die Filme mit den ausschweifenden Erzählungen der „griots“, jener Alten, die eine orale Tradition durch ihre Geschichten von Generation zu Generation weitertrugen. Die Beschäftigung mit Geschichte (zuerst die Auseinandersetzung mit den Kämpfen um die Unabhängigkeit von den kolonialen Mächten, dann die Suche nach der eigenen Geschichte) gehört zu den bevorzugten Themen afrikanischer Filme. Hauptakteure waren nicht selten Frauen, Kinder und von der Gesellschaft Ausgestoßene. Film war für die meisten Filmemacher auch Mittel der Kritik an sozialen und politischen Machtverhältnissen. Insofern war die afrikanische Ausprägung eines „Autorenkinos“ durchaus mit denen in Europa vergleichbar. Aber auch Versuche, ein Genre-Kino zu gestalten, wurden unternommen: Melodrama, Satire und Komödie sollten afrikanische Zuschauer begeistern.
Wo früher allerdings eine kritische Auseinandersetzung mit Politik, Kultur und Gesellschaft herrschte, ist heute eher eine Tendenz zum Belanglosen zu spüren. Man schont sich – und die Finanziers. Es ist evident, daß heute praktisch kein Film mehr ohne Gelder aus europäischen Ländern auskommt. Meist nicht unwesentliche Produktionsanteile der Filme (so sind von 3,3 Millionen DM, die in afrikanische Filme fließen, nur noch 17 Prozen „afrikanisch“) kommen von europäischen Fernsehanstalten oder werden von verschiedenen privaten und staatlichen Institutionen zur Verfügung gestellt (zum Beispiel dem französischen „Entwicklungshilfeministerium“ oder kirchlichen Trägern, aber auch Organisationen aus England, den USA und Kanada). Damit wird außerdem die Tendenz verstärkt, daß die afrikanischen Filme noch weniger in den Produktionsländern selbst zu sehen sind.
Entstanden ist so ein Kino, das sich immer mehr angleicht, homogener wird und letztlich für den europäischen Geschmack zugeschnitten ist. Was im europäischen Kino als „Europudding“ bezeichnet wird, scheint mehr und mehr auch auf ein afrikanisches Kino zuzutreffen: Das Schielen nach europäischen Geldern verstellt manchem Filmemacher den Blick auf die Qualitäten, die das afrikanische Kino zu Anfang auszeichneten. Zwischentöne in den Filmbildern und in den Inhalten gibt es immer weniger. Besonders erstaunlich ist die Tatsache, daß kaum noch Filme auf aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse eingehen, und das zu einer Zeit, wo gerade die afrikanischen Länder von gesellschaftlichen Krisen erschüttert werden.
Der Schein trügt, daß es dem afrikanischen Film so gut wie noch nie ging: zwar werden mehr Filme denn je produziert, die europäischen und überseeischen Fernsehanstalten, Produzenten und Verleiher reisen mehr und mehr zu Festivals, die sich um den afrikanischen Film bemühen. Doch mir scheint, daß die Gefahr, die von einer derartigen Förderungspraxis ausgeht, für die meisten jungen Filmemacher nicht überschaubar ist. Ihr vordringliches Ziel ist es – wer wird es ihnen verdenken – überhaupt Filme zu machen. Daß ihre Produktionen, trotz vieler gegenteiliger Bekundungen, schon längst nicht mehr für ein afrikanisches Publikum gemacht sind, scheint nur wenige zu bekümmern. Werner Kobe
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