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Auf Zehenspitzen in Greenwich Village

■ Ang Lee: „Hsi Yen“ (Das Hochzeitsbankett) im Wettbewerb

Luftig leicht wie ein chinesischer Pfannkuchen geht dieser Film auf: Über die Brooklyn Bridge marschiert unter sommerlichen Himmeln stählern-federnd ein taiwanesischer Yuppy, er geht Gewichte stemmen im Fitness-Studio, er dehnt und krümmt sich, einen Walkman auf den Makler-Ohren. Wai Tung ist Amerikaner geworden mit Green Card und Magengeschwür. Alles läuft bestens, nur seine Mutter ist noch nicht ganz zufrieden und schickt aus Taiwan Computerbögen vom Single- Club. Was will er? Eine Opernsängerin, 1,72 m groß, die fünf Sprachen spricht? Verzweifelt konstruiert Wai auf den Bögen eine Frau, von der er hofft, daß es sie niemals geben wird; denn was er will ist Simon, den blonden All-American Boy, mit dem er seit fünf Jahren zusammenlebt.

Vielerlei Gesichter New Yorks hat der Regisseur Ang Lee gesehen: Wai's Wall Street und Body Building, Simon's Christopher Street mit den Ständen der Act-Up AIDS-Aktivisten; die Wohnung mit den wilden Bildern ihrer gemeinsamen Freundin Wei-Wei, die Wai gehört und für die er horrende Preise verlangt (Wai ist das, was die „Village Voice“ einen „Landlord from hell“ nennen würde). Dann ist da China Town, der Hort der Tradition, mit den bekannten Gemüseständen, Glühlämpchen und dem wuseligen Treiben. Keine dieser Zonen, keiner der Codes wird denunziert, ethnografiert oder in einen Melting Pot geworfen.

Stattdessen rollt eines Tages an, womit bei allem Kulturspagat zu rechnen war: Wei-Wei droht die Abschiebung, Wai entschließt sich auf Simons Vorschlag hin, sie zu heiraten, um dadurch auch seine Eltern zu beruhigen, und die kündigen — Oh my god! — ihren Besuch an.

Im Screwball-Tempo wird nun die ganz große Maskerade inszeniert: Die Mapplethorp-Fotos und die von Simon und Wai müssen runter von den Wänden, dafür chinesische Kalligraphien dran. Zu den Lifestyle-Zickigkeiten der beiden spielt flotter Brasilo-Jazz mit einer frechen Trompete.

Vater und Mutter Gao treffen ein, das junge Paar, das sich hinter ihrem Rücken die Zunge herausstreckt, tut artige Knickse, und an dieser Stelle wären neun von zehn Filmen in die Banalität abgerutscht. Wie leicht wäre es gewesen, das Ehepaar Gao als trippelnde, vor der Skyline Manhattans ehrfürchtig blinzelne Landpomeranzen zu zeigen. Nicht so das „Hochzeitsbankett“. Frau Gao ist die moderne, sehr selbtsbewußt an Traditionen festhaltende Frau an der Seite eines starren, leicht erzürnbaren, aber freundlichen Mannes, der — wie die Familie des Regisseurs — aus der Volksrepublik geflohen ist. Gleich auf dem Balkon, mit Blick in den kleinen sonnigen Village-Hinterhof, gesteht der vielfach dekorierte Kriegsheld seinem Sohn, daß er nur in die Armee ging, um herauszukönnen aus China.

Die Hochzeit des Sohnes aber liegt ihnen am Herzen, traditionsgemäß überreichen sie viele kostbare Geschenke. Eine immer größere Spannung tut sich auf: Die ungeheure Maskerade – mit Simon als „Vermieter“ und dem jungen Paar in Schlafanzügen, der chinesischen Küche von Wei-Wei, die überhaupt nicht kochen kann — diese Maskerade ist gar zu anstrengend. Sobald die Eltern einmal nicht in Sicht sind, zischeln sich die Maskierten an, brechen in hysterische Lachkrämpfe aus oder fallen übereinander her.

Der Regisseur Ang Lee hat meisterhaft die Balance gehalten zwischen der Hohlheit des säkularisierten Rituals und der Kritik am chinesischen Pomp. Da gibt es die Hochzeitszene auf einem häßlichen O/8/15 Standesamt, wo die von fern angereisten Eltern auf schnöden Plastikstühlen Platz nehmen sollen — eine unvergleichliche Kränkung. Da gibt es aber auch die Entschädigung durch ein riesiges Hochzeitsbankett mit lauten, spielenden, geschmückten Chinesen. Unbehaglichkeit mit den fremden Ritualen wechselt sich ab mit freundlichem Interesse und genervter Zurückweisung von Überschwenglichkeit und fröhlichen Neuentdeckungen.

Natürlich platzt der pompöse Traum. Mehr als „Dragging-out“ denn als „Coming-out“ kommt die schwule Wirklichkeit des Sohnes ans Licht. Die Hochzeit ein Schwindel, alles in Scherben.

Vorsichtig, ohne die Risse zu verkitten, setzt Lee dann alles neu, ganz anders zusammen. Kein anderer Film auf der Berlinale hat bisher so freundlichen, witzigen und schwindelerregend zukunftsträchtigen Gebrauch von Fremdheit gemacht wie dieser. Mariam Niroumand

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