: Zwangsehe endet mit versuchter Tötung
■ Prozeß gegen 20jährige Türkin, die ihrem Ehemann mit Beilschlägen schwere Schädelverletzungen zugefügt hatte / Er soll sie zum Beischlaf zu zwingen versucht haben / Sie hatte ihn nie geliebt
Moabit. Unvorstellbar, daß die 20jährige Türkin Fadime K. das riesige Beil mit dem langen Holzstiel über ihren Kopf hochgewuchtet und auf den Schädel ihres stehenden Ehemannes niedersausen lassen hatte. Doch die pummelige junge Frau, die immerhin 30 Zentimeter kleiner als ihr Mann ist, blieb dabei. Auch als der Vorsitzende Richters Sachs die in Plastikfolie verpackte Axt mit den Worten hochhievte: „Das Ding ist ja irrsinnig schwer. Sie müssen ja eine ganz schöne Kraft haben.“
Fadime K. muß sich seit gestern wegen versuchten Totschlags vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts verantworten. Laut Anklage soll sie ihrem 30jährigen Ehemann Indris K. mit einem Beil fünf teilweise sehr schwere Schädelverletzungen zugefügt haben. Als Tatmotiv vermutet die Staatsanwaltschaft, daß Fadime von dem Mann, mit dem sie zwangsverheiratet worden war und den sie nie in ihrem Leben geliebt hatte, mißhandelt worden ist.
Im Gegensatz zu dem in einem türkischen Dorf großgewordenen Indris wuchs Fadime in Deutschland auf. 1987 wurde sie von ihrem Vater in der Türkei Indris K. zur Frau versprochen, den sie bis dahin nicht kannte. Als sie den Mann 1988 heiratete, war Fadime 15 Jahre alt. Von Anfang an soll sie gegen ihn ein tiefes Gefühl der Abneigung gehabt und mit allen Mitteln zu verhindern versucht haben, daß Indris ihr nach Deutschland folgte. Zu ihrer Ehe und ihrem Lebenslauf wird sich die Angeklagte jedoch erst kommenden Dienstag äußern.
Mit leiser, kaum vernehmbarer Stimme schilderte Fadime K. gestern, wie es zu der Tat gekommen war. Ihr Mann sei wieder einmal gegen vier Uhr nachts völlig betrunken aus der Kneipe gekommen. Weil er seinen Hausschlüssel verloren habe, hätte er sie und den kleinen gemeinsamen Sohn wie schon häufig zuvor aus dem Schlaf geklingelt. „Er stank stark nach Alkohol und hat gesagt, er wolle mit mir schlafen.“ Sie habe dies abgelehnt, er habe aber keine Ruhe gegeben. Nachdem Indris K. sie bedroht und gegen eine Tür geschubst habe, sei sie ins Bad geflüchtet, um sich dort zu verstecken. Ihr Mann habe ihr hinterhergeschrien, sie solle sich beeilen und sich endlich ausziehen. Da habe sie das Beil ergriffen.
„Ich dachte, er läßt mich in Ruhe, wenn er es sieht, aber er hat mich überhaupt nicht ernstgenommen“, sagte die Angeklagte. Statt dessen sei Indris K. vom Bett aufgestanden. Als er kurz vor ihr gewesen sei, so Fadime K. „hob er die Hände und sagte, er bringe mich um“. Da habe sie zugeschlagen. Allerdings könne sie sich nur an einen Schlag erinnern. Danach sei sie aus der Wohung geflüchtet. Bei ihrer Rückkehr am Vormittag wurde Fadime K. festgenommen. Indris K. lag bereits auf der Intensivstation. Ein Nachbar hatte ihn mit stark blutendem Kopf am Fenster gesehen und die Polizei alarmiert. Fadime K. saß anderthalb Monate in U-Haft und erhielt dann Haftverschonung.
Als der hagere Indris K. gestern als Zeuge vernommen wurde, nahm Fadimes aschfahles Gesicht eine grünliche Färbung an. Zur Überraschung der Prozeßbeobachter versuchte der Mann, die Angeklagte zu entlasten: In der Wohnung sei noch „jemand anderes gewesen“, der ihn im Schlaf mit dem Beil geschlagen haben müsse, sagte er. Fragen der Verteidigerin Voss, ob er seine Frau zum Beischlaf zu zwingen versucht habe, verneinte er entrüstet. Es sei zwar keine Liebes-, sondern eine Pflichtheirat gewesen, aber er habe ihr nie Gewalt angetan. Die bohrenden Fragen der Verteidigerin ließen indes vermuten, daß Fadime in der Hochzeitsnacht vergewaltigt worden war. Dazu Indris K.: „Wir wurden in ein Zimmer gesperrt, sie hat auf eigenen Wunsch mit mir geschlafen.“ Ob seine Frau Schmerzen gehabt habe, schließlich sei sie Jungfrau gewesen, wie mittels Aushängens des blutigen Lakens demonstriert worden sei? „Ich weiß nicht. Mir hat jedenfalls nichts wehgetan“, gab Indris K. kaltschnäuzig zurück. plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen