Zwischen den Rillen: Von der Motorik weit entfernt
■ Der Technobeat am Scheideweg: „The Best of Rotterdam Records“ und „Brückenkopf im Niemandsland“
Mit Techno kann man mittlerweile Rucksäcke für Vorschulkinder verkaufen, ein Zeichen gegen das Walsterben setzen oder eine Familie gründen. Der vermeintlich böse Klang aus dem neubebauten urbanen Untergrund hat gewaltig an Hartnäckigkeit eingebüßt, seit die Euphorie der ravenden Acid-Hardliner im allgemeinen Partywesen aufgehoben wurde. Außer ein paar Tanzroutinen und den Erinnerungen von der letzten Love Parade ist nur die Erkenntnis geblieben, daß zu viele Beats müde machen und zu viel Ecstasy dumm.
Zur fehlenden Utopie paßt auch der Slogan, den ein paar gewitzte Holländer fürs Nachtleben ausgerufen haben – „Alles Naar de Kloote“, „Everything's fucked up“, „Alles im Arsch“. Seitdem trillern die Pfeifen auf Partys von neuem, flackern die Stroboskope wieder ein wenig heller und finden überhaupt alle alles viel suprasuperer als je zuvor, solange der Sturmschrei aus Rotterdam mit Maschinengetöse über die Tanzfläche bläst.
Techno geht im Stechschritt in die Verlängerung. Wo in Fachzeitschriften um den Trend zum Überbau bemühte Kritiker weltfremde Hippiemanifeste zusammenschmieden, etwa, daß „alle Raver gleich sind“, wirkt der Gabbersound aus Rotterdam wie eine Prise Naturdünger im Schmelztiegel hochtechnisierter Bürgerkinder, die doch nur nach Techno-, Trance- und New-Age fiebern. Für den Krach sind dabei neben stakkatofiependen U-Boot-Signalen und blöden Spielzeugmelodien die basisnahen Riffs des Heavy Metal verantwortlich, die per Sampling noch in der letzten Radlerhose den Headbanger wachrufen.
Platten aus Rotterdam wollen vor allem diejenigen Kräfte mobil machen, die auf den Trampelpfaden jeder medienwirksamen Jugendkultur zumeist auf der Strecke bleiben. In Holland hat man die Masse entdeckt. „Alles Naar De Kloote“ ist die Hymne für Hooligans, und die Band, die deren Botschaft verkündet, heißt Euromasters. Außer dem jungproletarischen Befreiungspogo bietet der Sound of Rotterdam einen ebenso unmißverständlichen Einblick in den Unterbau. Holy Noise errichten mit „The Nightmare“ Freddy Kruger ein Disco- Denkmal, der Aggressor läßt triebgerichtet „I'm Coming“ schwingen, und auch sonst ist der Spaß eher auf eine männliche Klientel von Fußballfans ausgerichtet. Als wollte er urhordende Frauenhasser um sich scharen, ertönt bei Sperminator das Reizsignal „No Woman Allowed“. Richtig tanzen kann und soll man dazu nicht. Bei Beatzahlen von 180 Taktschlägen pro Minute bleiben die Füße entweder auf dem Boden oder in der Luft. Der Beat hat sich weit von der Motorik entfernt.
Auch das Frankfurter Label Force Inc. hat sich auf der Tanzfläche formiert, verfolgt dabei jedoch die lauteren Interessen einer bürgerlichen Avantgarde. Von Spex zum „poststrukturalistischen“ Plattenlabel hochgelobt, sind die Pfade des Techno hier eher verschlungen. Man liebäugelt mit englischem Kunstschulrave, vertraut auf die verbindenden Kräfte von Acidhouse und ist auch ansonsten bemüht, nicht mit dem Hammer am Mischpult zu philosophieren. Gute Force-Inc.-Stücke vernetzen sich schleichend. Spacecube etwa verstricken ein legeres Klavierthema mit ungelenk hopsenden Dubrhythmen, pflegen jedoch im gleichen Prozedere des Culture-Clash die mondänen Standards, mit denen sich DJs in Detroit und New York an den Plattenspielern abplagen. Alles ist immer in der Schwebe zur Auflösung gehalten, kein Beat gleicht dem anderen. Nur Alec Empire, ein Jungspund aus Berlin, hat seine Ader für 77er Punk entdeckt und fährt mit „You are 2nd Best“ und „Cold Sweat“ den Funky Drummer von James Brown in überhöhter Geschwindigkeit. Nicht einmal vor der Vergangenheit ist man im fortgeschrittenen Tanzfluß sicher. Plötzlich ertönt aus einiger Entfernung ein Sprengsel von Pink Floyd – „Several Species of small furry animals gathered together in a cave and grooving with the pict“. Der Titel war fast schon vergessen. Doch der technische Veredelungsprozeß historischer Zeichen ist nur ein bescheidener Nebenaspekt des Frankfurter Samplers, der nach einem illegal betriebenen Club unter einer Mainzer Brückenanlage benannt wurde. Mit der kommenden Veröffentlichung der „Destroy Germany“-EP bemüht man sich außerdem, aufrecht antifaschistisch abzuraven. Zwischen dem hirnlosen Anti-Formalismus aus Rotterdam und der Signifikationswut der Frankfurter liegen Welten. Harald Fricke
„The Best of Rotterdam Records“ (Rotterdam Records) und „Brückenkopf im Niemandsland“ (Force Inc.) erscheinen im Eigenvertrieb.
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