: Provokation gegen die Angst
Die ägyptische Tradition religiöser Zensur durch die „Azhar“, die höchste rechtliche Instanz in Sachen Religion, und wie sie die diesjährige Kairoer Internationale Buchmesse beeinflußt hat ■ Ein Rückblick von Karim El-Gawhary
„Gegen Terrorismus und religiös motivierten Extremismus“ – so lautete die Aufschrift auf Hunderten von Plakaten, mit denen zur Zeit Kairos Brücken und wichtigste Plätze gepflastert sind. Auch auf der 25. Internationalen Buchmesse, die am 8.Februar in der Nilmetropole nach zwei Wochen Dauer zu Ende ging, stand das Thema Terrorismus ganz oben auf der Tagesordnung. Mit 45 Millionen ausgestellten Büchern von 2.000 Verlagen aus 68 Ländern eine Veranstaltung, die sich sehen lassen konnte. Und dennoch hatte die Sache einen Haken. Denn während offiziell über islamistischen Terror gesprochen wird, geht hinter den Kulissen der prall gefüllten Bücherregale die Angst vor dem islamischen Zensor um.
Das letzte Mal hatte dieser nur wenige Wochen vor der Jubiläumsmesse zugeschlagen. Der Schriftsteller und Politiker Farag Foda allerdings, das Opfer der neuerlichen Zensur, wird sich nicht mehr darüber beschweren, literarisch aus dem Verkehr gezogen worden zu sein. Letzten Sommer, als er mit seinem Sohn im Kairoer Viertel Heliopolis über die Straße ging, wurde er von zwei Männern auf einem Motorrad niedergeschossen. Verantwortlich für diesen Anschlag zeichnete damals die militant-islamistische Gihad- Gruppe. Grund: der Muslim Foda war für eine strikte Trennung von Religion und Politik eingetreten und hatte zu allem Überfluß auch noch mit der islamischen Geschichte argumentiert.
Auf Anweisung der Kairoer Azhar-Universität, der höchsten rechtlichen Instanz für alle sunnitischen Muslime in Sachen Religion, mußten kürzlich alle seine Bücher aus den Buchhandlungen entfernt werden. Und das nur drei Tage, nachdem die Freunde Fodas dessen Bücher neu verlegen ließen – zu Ehren des Ermordeten.
Die Umstände solcher Konfiszierungen sind dabei alles andere als klar. Handelt es sich, wie im Falle Fodas, um einen staatlichen Verlag, funktioniert die Entscheidung auf informellem Wege und mit einer kurzen mündlichen Mitteilung darüber, daß diese und jene Bücher beim „Islamischen Forschungsinstitut“ der Azhar in Ungnade gefallen sind. Der Verlag antwortet dann leise, aber schnell. So geschah es beispielsweise mit Edwar El-Kharrats Roman „Kreaturen fliegender Leidenschaft“. Sein in einem staatlichen Verlag erschienenes Buch war eines Tages einfach ohne nähere Angaben von Gründen aus dem Buchhandel verschwunden.
Anders dagegen läuft es bei privaten Verlagen, wie etwa dem Dar-Al-Sina Verlagshaus. „Wir sind der einzige Verlag, dem im letzten Jahr an einem Tag sieben Bücher konfisziert wurden“, sagt die Verlagschefin Rawia Abdel Azim nicht ohne einen gewissen Stolz. Während der letzten Buchmesse seien die Leute von der Azhar an ihrem Bücherstand erschienen, mit einer Art Protokoll, auf dem die Bücher aufgelistet standen, die zu konfiszieren waren. Dabei scheint es sich um eine rein administrative Entscheidung der Azhar zu handeln.
Gleich fünfmal hatte der Name des ägyptischen Richters und Islamexperten Muhammad Said Al- Ashmawi auf der Liste gestanden. „Politische Aktivität ist keine religiöse Aktivität, sondern ein menschlicher Akt“, schreibt Ashmawi in einem seiner Artikel. Etwas anderes zu behaupten, verwandele politische Differenzen in religiöse Kriege. Für Ashmawi ruft der Koran zur intellektuellen Freiheit auf. Einschränkungen dieser Freiheit seien eine Beleidigung für die Essenz des Islam und die Grundlagen des islamischen Rechts. Kein Wunder, daß es da den Azhar-Bürokraten bald zu bunt wurde. Nicht viel anders erging es damals der Schriftstellerin San'a El-Masri, die im gleichen Verlag publiziert. In ihrem Werk „Hinter dem Schleier“ hatte sie den Status von Frauen in der islamistischen Ideologie untersucht.
„Ich bin überzeugt von dem, was ich tue – und das dämpft meine Angst“, sagt Rawia Abdel Azim. Gelegentlich gibt es ein paar Drohanrufe, erzählt sie. Das Buch „Hinter dem Schleier“ war letztes Jahr in einer der großen Moscheen Kairos öffentlich verbrannt worden, die aufgebrachte Menge forderte den Tod der Autorin und der Verlegerin. Von besonderen Sicherheitsmaßnahmen für das Verlagshaus will sie aber nichts wissen. „Dann haben wir auch noch den Geheimdienst in Form von Wächtern im Haus.“
Religiöse Zensur hat Tradition in Ägypten. 1926 hatte Taha Hussein, der als Vater der modernen ägyptischen Literatur gilt, vorislamistische Dichtung mit kritisch- wissenschaftlichen Methoden analysiert. Er löste damit einen Skandal aus, hatte er sich doch mit kritischen Methoden den heiligen Texten zugewandt und somit an den Fundamenten der arabischen Geschichtsschreibung gerüttelt. Das Buch wurde auf Druck der Azhar zurückgezogen.
Nicht viel anders erging es seinerzeit dem islamischen Rechtsgelehrten Abdel-Raziq mit seinem Buch „Der Islam und die Grundlagen der Staatsgewalt“. Raziq vertrat darin die Ansicht, daß die politische Nachfolge des Propheten – das Khalifat – weder vom Koran noch der Überlieferung des Propheten abgedeckt ist. Die Staatsführung nach dem Tode des Propheten sei daher nur noch weltlich, nicht mehr religiös begründet gewesen. Die Azhar zog daraufhin die Lehrgenehmigung Raziqs zurück und forderte dessen Entlassung aus dem Justizdienst.
In den 50er Jahren war es dann niemand geringerer als der heutige Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfuz, den der Zorn der Azhar traf. Er hatte in seinem Roman „Die Kinder unseres Viertels“ Gott personifiziert. Nachdem die Geschichte bereits in der staatlichen Zeitung Al-Ahram abgedruckt war, mußte sie schließlich zurückgezogen werden.
Der wohl absurdeste Fall der 80er Jahre war die Verhaftung des Verlegers der ungekürzten Ausgabe von „Tausendundeine Nacht“, die als pornographisch und blasphemisch interpretiert wurde.
Die Azhar hatte allerdings zu anderen Zeiten auch schon ein anderes Gesicht. Etwa in den Tagen des islamischen Reformers Muhammad Abdu Ende des letzten Jahrhunderts. Abdu setzte sich an der Azhar für eine Neuinterpretation des Islam ein. Zurück zu den Prinzipien des Islam und weg von den engen Gesetzbüchern, hieß seine Devise. Für ihn gab es keinen Konflikt zwischen Islam und westlicher Wissenschaft. Die Azhar stand damals in der Vorfront der Modernisierung des Islam, und Denker wie Abdu wurden zum Vorbild für eine ganze Generation islamischer Reformer. „In der heutigen Azhar würden Leute wie Abdu wahrscheinlich ebenfalls der Zensur zum Opfer fallen“, vermutet die Verlegerin Abdel Azim.
Die Azhar, zu deutsch „die Blühende“, hat nach dem ägyptischen Gesetz das Recht, religiöse Bücher zu untersuchen. Das allerdings, so argumentiert Hafez Abu Ziadeh von der „Ägyptischen Organisation für Menschenrechte“, beinhaltet nicht das Recht, Bücher zu konfiszieren. Sie habe eine rein beratende Funktion. Die Crux dabei bleibt jedoch die Frage, welche Bücher nun eigentlich „religiös“ und damit den Kontrolleuren der Azhar unterworfen sind. Scheich Muhammad Khalifa Abadallah, der im letzten Jahr die Konfiszierungskampagne geleitet hatte, sieht sich laut der ägyptischen Presse als reiner Befehlsempfänger des Islamischen Forschungszentrums. Dessen Chef, Scheich Sayed Gazar, möchte sich zu der ganzen Angelegenheit nicht näher äußern.
Ob begründet oder nicht – bei so manchem Schriftsteller ist inzwischen der Frust über die Zensurmisere nicht mehr zu überhören. Für den Kurzgeschichtenschreiber Youssef El-Qaeed untergräbt die Welle religiöser Zensur jegliche Art von künstlerischer Betätigung. „Wirkliche Freiheit wird in einer Atmosphäre des Dialogs geschaffen. Wir sind heute Zeugen einer Serie von Monologen“, schreibt er.
Die linke ägyptische Zeitschrift Literatur und Kritik versucht dennoch (und nicht ohne Erfolg) den Dialog aufzunehmen. Sie setzt sich mit dem Argument auseinander, daß die konfiszierten Schriften moralische oder religiöse Gefühle verletzten. Ästhetik und Heiligkeit seien Zwillinge. „Beide entspringen einer Quelle: der menschlichen Phantasie, ohne die es keine Religion und keine Kunst geben kann“, schreibt die Zeitung an die Zensoren gerichtet.
Die ägyptische Regierung führt in Sachen religiöse Zensur einen regelrechten Eiertanz auf. Präsident Mubarak selbst befahl letztes Jahr nach einem Aufschrei der ägyptischen Intellektuellen, die Bücher Ashmawis noch während der Buchmesse wieder freizugeben und erklärte die Entscheidung der Azhar für aufgehoben.
In der diesjährigen Buchmesse schlug er andere Töne an: „Wenn die Azhar eine Meinung abgibt, drückt sie in diesem Fall das Festhalten an unserem Glauben aus. Also können wir der Azhar nicht diktieren, was sie zu tun hat“, ließ er auf einem Treffen mit führenden ägyptischen Schriftstellern zu Beginn der diesjährigen Messe verlauten.
Für viele Verleger und Schriftsteller steht die religiöse Zensur, der gegenüber der Staat ein Auge zudrückt, und die neue Kampagne der Regierung Mubarak gegen den religiösen Extremismus in einem krassen Mißverhältnis. „Der Staat möchte sich islamischer geben als die Islamisten, weil er Angst hat“, erklärt Farida Naqash, die Chefredakteurin der Zeitschrift Literatur und Kritik den paradoxen Sachverhalt.
„Am besten, der Staat und die Azhar vergessen das Ganze“, sagt der alte Verleger Hagg Madbouli gelassen, während er dem Treiben in seinem Bücherzelt zusieht. 24 Mal stand er wegen dem Vertreiben subversiver Schriften vor Gericht. Das letzte Mal vor zwei Jahren für das Verlegen des Buches „Eine Reise durch den Verstand eines Mannes“, als er zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Das endgültige Urteil steht noch aus. Madbouli provoziert mit schon verbotenen Büchern: Von der Biographie Norman Schwarzkopfs in arabischer Übersetzung bis hin zu den verbannten Werken Farag Fodas war in seinem Messezelt alles zu haben. Konfisziert wurden, dieses Mal, keine neuen Bücher.
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