Alptraum Ignalina

■ Neue Details zum Brandschutz im litauischen Atomkraftwerk Ignalina

Stockholm (taz) – „Ich sehe mich nicht nur als Brandchef dieser Anlage, sondern als oberster Feuerwehrmann für halb Europa. Für Litauen, Lettland, Estland, Polen, Deutschland, Skandinavien, Rußland, Weißrußland und die Ukraine.“ Daß Vasilij Fedorenko, von dem dieser Satz stammt, nicht von Größenwahn befallen ist, macht er gleich an einigen Beispielen deutlich. Die beiden Reaktoren des AKW Ignalina, die weltweit größten des Tschernobyl- Typs, für deren Brandschutz er zuständig ist, haben eine Notkühlung, die von je sechs Dieselmotoren betrieben wird. Die Zuleitungen für alle diese sechs Motoren verlaufen zusammen mit den Stromkabeln für die normale Elektrizitätsversorgung des Werks in ein und demselben Kabelkanal. Fedorenkos Angst: „Ein Kabelbrand würde die normale Stromversorgung und die Zuleitungen für das Notkühlsystem gleichzeitig außer Betrieb setzen.“

Der Alpträume sind mehr, über die Ignalinas oberster Feuerwehrmann nun einige schwedische JournalistInnen informiert hat: Bei einem Brand in der Turbinenhalle würde nach 15 Minuten das Metalldach soweit angeschmolzen sein, daß es zusammenbricht. Mehr Zeit hätten die Feuerwehrleute nicht, die versuchen müßten, einen Brand dort zu löschen. In der Turbinenhalle befinden sich alle Hauptzirkulationspumpen, sie liegt Wand an Wand neben dem Reaktorgebäude. Als deutsche „Sicherheitshilfe“ für den Schrottreaktor wurde gerade eine Ladung Brandschutzfarbe geliefert, mit der das Metalldach gestrichen werden soll. Feuerwehrmann Fedorenko freut sich: „Dann bleiben fünf Minuten länger bis zur Katastrophe.“ Über die mangelnde Brandsicherheit der Reaktoren vom Tschernobyl-Typ herrscht seit Jahren völlige Übereinstimmung unter ExpertInnen. Eine Kommission der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zählte kürzlich nach Angaben schwedischer Zeitungen 140 Zwischenfälle mit „Bedeutung für die Sicherheit“ in den vergangenen drei Jahren, vor allem wegen des schlechten Wartungsstands der Anlage. Das Personal in dem Atomkraftwerk sei mehrfach extrem hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt gewesen, was erst nach Ende des Arbeitseinsatzes bemerkt wurde, weil das Tragen von Strahlenmeßgeräten offensichtlich nicht üblich sei.

Leicht ließe sich bei solchen Nachlässigkeiten Abhilfe schaffen. Laut Fedorenko wäre es sogar ohne große Probleme möglich, mit neuen Kabelkanälen und der räumlichen Trennung von Versorgungsleitungen technisch ein Stück mehr Sicherheit zu schaffen. Geschehen sei bisher nichts. Reinhard Wolff