Zielgruppenbeschwichtigung lautet die Parole

■ Neben den oberen Einkommensschichten sollen nach Clintons Plan auch bislang privilegierte Gruppen wie die Rüstungs- und Agrarlobby zur Kasse gebeten werden

Nicht nur der Inhalt einer Rede, auch die Sitzordnung auf der Besuchertribüne hat ihre Aussagekraft. Daß Alan Greenspan, Vorsitzender der „Federal Reserve Board“, der US-Bundesbank, anläßlich des Clinton-Auftritts vor dem Kongreß zwischen Hillary Clinton und Tipper Gore Platz nehmen durfte, war folglich kein Zufall, sondern Regie. Nachdem die Börse an der Wall Street schon am Dienstag auf die Ankündigung von Steuererhöhungen und staatlichen Mehrausgaben mit einem kleinen Tauchgang und mehrere Finanzexperten mit Kritik reagiert hatten, gab sich Clinton alle Mühe, die Finanzwelt zu beruhigen. Sein Redemanuskript wurde mehrfach um das Wort „Defizitbekämpfung“ angereichert – und Greenspans prominenter Sitzplatz sollte signalisieren, daß es keine Differenzen mit dem Weißen Haus gibt.

Auch andere Zielgruppen mußten beschwichtigt werden. Den amerikanischen Senioren, deren Krankenversicherung vom staatlichen „Medicare“-Programm abhängt, versprach der Präsident, daß sie keine Kürzungen zu befürchten hätten; der versammelten militärischen Führung des Landes versicherte er, daß Streichungen im Verteidigungshaushalt mit allergrößtem Verantwortungsbewußtsein gegenüber „den Männern und Frauen in Uniform“ durchgeführt würden. Die Generäle wird das nicht getröstet haben. Ihnen sind die geplanten Einsparungen in Höhe von 76 Milliarden Dollar über die nächsten vier Haushaltsjahre so oder so zuviel. Sie werden darauf hoffen, daß vor allem die Kongreßabgeordneten aus Bundesstaaten mit Rüstungsindustrie und großen Militärstützpunkten gegen den Clinton-Plan ankämpfen. Auch die Bauernlobby dürfte in den nächsten Wochen „ihre“ Abgeordneten mit Brief-und Telefonkampagnen belegen, da mehrere Subventionsprogramme mit dem Rotstift des Weißen Hauses markiert worden sind. Gleiches gilt für die Pharmaindustrie, Ärzte und Krankenhausbetreiber, denen im Rahmen der staatlichen „Medicare“ und „Medicaid“-Programme Maßnahmen zur Kostendämpfung auferlegt werden sollen.

Am meisten Energie und Zeit verwandte Clinton neben der Beschwörung des Haushaltsdefizits jedoch darauf, der Durchschnittsfamilie sein Steuerprogramm schmackhaft zu machen. Noch im Wahlkampf hatte er der Mittelschicht Steuererleichterungen versprochen, jetzt wird sie in Form einer Energiesteuer zur Kasse gebeten. Doch nach ersten Berechnungen des Finanzministeriums fällt die Mehrbelastung relativ gering aus: Eine Familie mit einem Durchschnitts-Jahreseinkommen von 40.000 Dollar müßte demnach im Jahr rund 120 Dollar mehr für Benzin-, Öl-, Kohle- und Gasverbrauch berappen. Wer im Jahr nicht mehr als 30.000 Dollar verdient, soll unterm Strich keinen Cent mehr bezahlen müssen. Der größte Teil der Steuererhöhungen, rund 70 Prozent, sollen laut Plan Haushalte mit einem Jahreseinkommen ab 115.000 Dollar aufwärts einbringen.

Clinton, so erklärten mehrere oppositionelle Abgeordnete der Republikaner am Mittwoch abend unisono, sei ein Demokrat der alten Garde mit neuer Rhetorik, der Steuern erhöhe und alte staatliche Programme aufblähe. Man verwies nicht nur auf das kurzfristige Paket zur Ankurbelung der Wirtschaft in Höhe von 30 Milliarden Dollar für dieses Haushaltsjahr, sondern auch auf die geplanten langfristigen staatlichen Investitionen in Infrastruktur-, Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahmen in Höhe von 160 Mrd. Dollar. „Haltet eure Geldbeutel fest“, erklärte der republikanische Fraktionschef im Senat, Bob Dole, und erklärte, noch nie habe ein Präsident so massive Steuererhöhungen gefordert. Mit dieser Kritik hatte man in der Administration allerdings gerechnet und kurz in den Haushaltsplänen der Amtsvorgänger nachgeschlagen. Den Rekord hält demnach immer noch Ronald Reagan mit seinem Steuererhöhungspaket aus dem Jahre 1982.