: Antifaschismus?-betr.: "Normalbürger haben es satt", taz vom 12.2.93
Betr.: Normalbürger haben es satt, Leserbrief vom 12.2.93
Der Leserbrief von Jürgen Floerke belegt, daß es sehr merkwürdige Spielarten von „Antifaschismus“ gibt. Vertreter dieser Gattung treten immer dann in Erscheinung, wenn z.B. Menschen aus dem belagerten Sarajewo berichten, wie die Stadt und ihre Bewohner samt „multikultureller Gesellschaft“ von großserbischen Fanatikern systematisch zerstört und ermordet werden. Wenn diese gequälten Menschen in ihrer Not um Hilfe bitten, an das Mitgefühl und das Gewissen der Zuhörer appellieren, das ist dann der Augenblick, in dem „Antifaschisten“ vom Schlage eines Jürgen Floerke anklagend ihre Stimme erheben. Ihre gerechte antifaschistische Wut richten sie — in die gleiche Richtung wie die großserbischen Belagerungsgeschütze der Tschetniks: auf die Menschen von Sarajewo und ihre „Sympathisanten“:
Daß bosnische Muslime sich erdreisten, mit der Waffe um ihr Leben zu bekämpfen, ist für diese wackeren „Antifaschisten“ Beweis genug: Es sind „Ustaschas“ — also zum Abschuß freigegeben. Schuld an dem „jetzigen Zustand in Jugoslawien“ sei die deutsche Außenpolitik, die die nationalen Gegensätze geschürt habe, um die „Reste des Sozialismus“ zu tilgen.
Dazu — mit Verlaub, Herr Antifaschist, ein paar bescheidene Fragen:
Die serbische Seite macht kroatische und bosnische Städte mit ihren schweren Waffen dem Erdboden gleich: Entspricht das dem Gleichheitsideal der Sozialisten?
Ist das Konzept, ein völkisch reines Großserbien zu schaffen, das zur Zeit mit Hilfe von Massenmord, Massenvergewaltigungen und Vertreibungen realisiert wird, im deutschen Auswärtigen Amt entwickelt worden oder vielleicht doch in der Serbischen Akademie?
Haben deutsche Ghostwriter die großserbische Hetzrede geschriegen, die Milosevic 1987 auf dem Amselfeld gehalten hat, um damit die „uralten nationalen Gegensätze zu schüren“?
Ist der Vielvölkerstaat Jugoslawien an der deutschen Außenpolitik gescheitert oder vielleicht doch an dem Versuch Belgrads, das Verhältnis zu den übrigen Völkern nach den Modell Kosovo zu gestalten?
Warum, Herr Floerke, dieses haßerfüllte Gegeifere gegen Leute, die sich auf die Seite der Opfer des Völkermords stellen und in ihrer Verzweiflung auch militärische Mittel in Erwägung ziehen, um den Genozid zu stoppen? Geschehen wird doch ohnehin nichts.
Zum Schluß eine Buchempfehlung — auch für Antifaschisten: „Ethnische Säuberungen“ — Völkermord für „Großserbien“. Eine Dokumentation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Luchterhand Flugschrift 5.
Mit antifaschistischen Grüßen Otto Cramer
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