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“Rauhreif der ideologischen Verpflichtung“

■ Heinrich Vogelers „Reisebilder aus der Sowjetunion“ im Barkenhoff / Nachrichten von der „Geburt des Neuen Menschen“

“Ein Künstler, ein unpolitischer, kommunistischer Philosoph kommt nach Rußland als Suchender. (...) Er geht in einen Betrieb, um als verantwortlicher Mitarbeiter an der Gestaltung der neuen Gesellschaft zu wirken. (...) Als Gestalter steht er mitten im Kristallisationsprozeß, er sieht den klaren, zukunftssicheren Aufbau der Union der Räterepubliken, er erkennt den lebendigen Organismus der Gesellschaft der Arbeitenden.“

Heinrich Vogeler schrieb diese Sätze, als er als Maler in Rußland schon längst Bilder mit kyrillischen Buchstaben signierte. Sie entstammen dem Vorwort zu einem seiner zahlreichen Reiseberichte, in denen er seine Exkursionen in die Weiten Kareliens, Armeniens und Tatschikistans dokumentierte. Die Begeisterung westlicher Avantgarden für den Neuen Menschen, wie er in Rußland geboren werden sollte, läßt sich anhand dieser Texte noch einmal wachrufen. Die Bilder dazu liefert dieser Tage die Ausstellung „Reisebilder aus der Sowjetunion“ in Vogelers frühem Worpsweder Domizil, dem Barkenhoff,

Vogeler reiste in den 20er und 30er Jahren unter großen Entbehrungen durchs Mutterland der Revolution und skizzierte mit Buntstift und Feder arbeitende Menschen, Siedlungen, Landschaften und immer wieder menschliche Typen. Für Museumswände und Kunstmärkte wollte Vogeler nicht arbeiten — das bestimmte seine Produktionsweise. Häufig dienten seine Skizzen als Vorlagen für Strichätzungen, die dann in Zeitschriften publiziert werden konnten. Die Grafiken übertrug er auf Diapositive, die handkoloriert wurden — für Lichtbildervorträge. „Typen aus dem Norden“, „Knüppelweg“, „Nördlichste Agrarversuchsstation“ lauten die Titel von solchen Dias, die man in Worpswede unter der Lupe betrachten kann. Die gefundenen Sujets wiederum wurden in die bekannten „Komplexbilder“ montiert, jene eigenartigen Agit-Prop-Jubeltafeln, die von der Anlage her an Wandbilder erinnern, voller Szenen aus dem Arbeitsleben, revolutionärer Symbolik und neuen Mystifikationen. Zum Beispiel „Kulturarbeit der Studenten im Sommer“ (1924) mit pflügendem Bauern in Goldgloriole. Oder jenes pathetische „Zentralasien“ (1927), das die Vermählung des Kamels mit der Fabrik und dem Sowjetstern halluziniert.

Seit 1931 war Vogeler endgültig in Rußland, er arbeitete im Staatsauftrag, indem er gegen Rubel den Sowjetmenschen und seine Arbeit malte. In diese Zeit fallen „Der Flößer“, die „Kontrollierende Vorarbeiterin, die „Siedlung 'Internationale–“ etc.

Ein großer Teil (13) der Worpsweder Bilder kommt aus der Berliner Nationalgalerie, ein Teil der Bilder wird Worpswede erhalten bleiben; als Dauerleihgabe ergänzen sie den „frühen Vogeler“ im Barkenhoff. Daß der frühe und der späte Vogeler nebeneinanderhängen, ist dabei durchaus neu: Die Mauer trennte auch die beiden Vogelers, den — aus westlicher Rezensentensicht - „schönen“ vom „schrecklichen“, auf den „der Rauhreif der ideologischen Verpflichtung“ gefallen war.

Wie die „Geburt des Neuen Menschen“ im einzelnen aussah, worauf Vogeler seine revolutionäre Sehnsucht warf, das kann man in einem üppigen und informativen Buch nachlesen, das der Leiter des „Worpsweder Archivs“, Peter Elze, zur Ausstellung in einer überarbeiteten Neuauflage herausgegeben hat. Es heißt ebenfalls „Reisebilder aus der Sowjetunion“ und zitiert Berichte von Zeitgenossen und Sohn Jan Vogeler. Im Wesentlichen aber veröffentlicht es die zu den Bilder gehörigen Reisebeschreibungen Heinrich Vogelers, wie sie seinerzeit in verschiedenen Zeitschriften herauskamen. Sie enden mit dem Lob auf einen Kolchosebauern, der in seinem Kollektiv eine Wandzeitung hergestellt hat, welche in der Nacht beleuchtet ist. Bus

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