: Vertane Chance-betr.: "RAF-Urteil verärgert Staatsschutz", "Wo ist Kinkel?", taz vom 12.2.93
betr.: „RAF-Urteil verärgert Staatsschutz“, „Wo ist Kinkel?“, taz vom 12.2.93
[...] Hatte ich noch im letzten Jahr geglaubt, daß der RAF-Brief vom 10.4.92 eine so noch nicht dagewesene Möglichkeit, Wege aus dem „Gewalt-System“ zu finden, bieten würde, kann ich jetzt nur von vertanen Chancen sprechen, die, was (hoffentlich) niemand will, schlimme Folgen haben könnten. Im Januar 1992 formulierte es der Bundestagsabgeordnete Peter Conradi (SPD) so: „Sie haben den Anspruch darauf, daß ihre weitere Haftverbüßung nach 15 Jahren im Gefängnis überprüft wird – mit der Möglichkeit, daß sie vorzeitig entlassen werden. Das dient dem Rechtsfrieden und ist vernünftig.“
Von „Vernunft“ bei den Richtern keine Spur. Im Gegenteil: Dieses Urteil ist ein Beitrag zur „Aufrüstung“ und trägt nicht zur Humanisierung der Bundesrepublik und der Strafjustiz bei. Die „Betonfraktion“ hat sich wieder durchgesetzt, und die sogenannte „Politfraktion“ hat sich ganz schön ins Abseits drängen lassen. [...]
In einem Interview sagte im Juni 1992 Bischof Kamphaus: „Ich bin der Meinung, daß derzeit eine besonders günstige Gelegenheit besteht, eine zerstörerische Konfrontation abzubauen, wobei zu beachten ist, daß Versöhnung einen Prozeß des Umdenkens auf beiden Seiten erfordert.“ Der RAF-Brief vom 10.4.92 hat ein deutliches Signal gesetzt. Die Antwort darauf halte ich für unverantwortlich und gefährlich. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Gefängnisseelsorger weiß ich, daß aus sogenannten Gründen der Sicherheit und Ordnung oft die schlimmsten Dinge passieren können, die mit Vernunft, Recht und Gerechtigkeit nichts mehr zu tun haben. Ich befürchte ein endgültiges Scheitern der „Kinkel-Initiative“, weil unbelehrbare Hardliner sich durchsetzen und somit das Angebot der RAF auf Gewaltverzicht und gewaltfreie Konfliktlösung beiseite geschoben wird. [...] Hubertus Janssen,
Limburg-Eschhofen
betr.: „RAFler bleiben in Haft“, taz vom 11.2.93
Das war's dann wohl. Mit der Entscheidung des OLG Düsseldorf, die politischen Gefangenen aus der RAF – Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe und Lutz Taufer – selbst nach fast 18 Jahren Haft nicht freizulassen, ist für jede/n Interessierte/n offen: Von der sogenannten Kinkel-Initiative bleibt nichts als „Verhöhnung“.
[...] Natürlich schiebt man die „Schuld“ auf die Gefangenen. Sie hätten sich einer „gesetzlich vorgeschriebenen psychiatrischen Begutachtung verweigert“. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen.
Erstens gibt es bei den Strafaussetzungsverfahren ein „Auswahlermessen“, wonach ein/e Sachverständige/r jeweils aus der Fachrichtung heranzuziehen ist, die/der dem Gericht die beste Entscheidungsgrundlage gibt. Daß dies vor dem Hintergrund der politischen Geschichte der Gefangenen kein/e PsychologIn sein muß, ist offensichtlich. Aber das OLG wollte mit einem „psychiatrischen Gutachten“ eben den „Beweis“ antreten, daß es für die RAF nie ein politisches Motiv gegeben haben kann, sondern daß es um „von der Norm abweichende Charaktere“ gehe.
Zweitens haben die Gefangenen sich eben nicht „verweigert“, sondern im Gegenteil, die formale Ebene des Strafaussetzungsverfahrens akzeptierend, ein sozialwissenschaftliches Gutachten einen Angriff auf ihre Identität und Menschenwürde. Drittens ist es ein schlechter Witz, wenn das OLG anführt, mit der Freilassung sei ein „Risiko“ für die „Allgemeinheit“ verbunden. Im November hat bekanntermaßen Karl-Heinz Dellwo – auch für die anderen betroffenen Gefangenen – erklärt, daß es zwar keine Versöhnung mit diesen Gesellschaftsverhältnissen geben könne, aber keiner von ihnen nach der Freilassung zum bewaffneten Kampf zurückkehren werde.
Nach der Erklärung der RAF vom April ist die Stimmung in der liberalen Öffentlichkeit und Presse so, daß man den Staat in einer „Bringschuld“ gegenüber den Gefangenen sieht. Doch das ficht die Politik in Bonn nicht an. Das „politische“ Verhalten von Regierung und Opposition besteht darin, der Justiz freie Hand zu lassen. Und der Justiz liegt eben auch an der Entpolitisierung einer die BRD- Gesellschaft über 20 Jahre prägenden Auseinandersetzung zwischen dem Staat und bewaffnet kämpfenden Gruppen. – So ist mehr als fraglich, ob der Bundesgerichtshof, der jetzt die Frage der Notwendigkeit eines „psychiatrischen Gutachtens“ wird entscheiden müssen, den Weg zu einer Freilassung der „Stockholmer“ RAF-Gefangenen wieder öffnet?
Gefragt wäre sowieso etwas anderes. Aber: „Eine geschlossene politische Antwort“ auf die RAF- Erklärung, schrieb schon im November der taz-Redakteur Rosenkranz, sei „nicht erkennbar“. Er schloß: „Und für die scheint sich erst dann wieder jemand zu interessieren, wenn sich die Führungselite dieses Landes erneut zum Staatsakt für einen der ihren in der Frankfurter Pauluskirche zusammenfindet.“ R.Rohde, Celle
Abgesehen von der juristischen Unhaltbarkeit und der politischen Blindheit der Justiz, zu der die AnwältInnen Stellung nehmen werden, scheint mir wichtig, deutlich zu machen, weshalb die drei jetzt seit fast 18 Jahren der Knast-Tortur gegen politische Gefangene ausgesetzt sind. Vielen, und angesichts der Geschichtslosigkeit dieser Gesellschaft, nicht nur der Jüngeren, dürfte dies nämlich gar nicht mehr geläufig sein. Aber es kann erhellen, welcher Ignoranz es bedarf, von „abweichenden Charakterstrukturen“ der RAF-Gefangenen auszugehen, wie es die Düsseldorfer Justiz meint machen zu müssen.
Im April 1975 besetzten Karl- Heinz Dellwo, Siegfried Haussner, Hanna Krabbe, Lutz Taufer und Ulrich Wessel die bundesdeutsche Botschaft in Stockholm, um 26 politische Gefangene im Austausch gegen das Botschaftspersonal freizubekommen. Die Aktion erfolgte in einer sich innenpolitisch immer mehr zuspitzenden und gegen die Gefangenen gerichteten Situation, in der die RAF davon ausgegangen ist, daß Gefangene – als Geiseln des Staates – umgebracht werden würden. (Wenige Monate zuvor war Holger Meins im Hungerstreik an den Folgen der „Zwangsernährung“ – er wog zuletzt nur noch 39 Kilogramm – gestorben.) Es soll hier nicht darum gehen, der Analyse der RAF im nachhinein recht zu geben, aber als Tatsache ist festzuhalten, daß fünf der 26 Gefangenen, die befreit werden sollten, die nächsten zwei Jahre nicht überlebt haben: Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Bader, Jan Carl Raspe und Ingrid Schubert. Offizielle Version: Selbstmord – in den „sichersten“ Gefängnistrakten der BRD.
Die meisten dieser 26 Gefangenen hatten sich Anfang der 70er Jahre in der RAF organisiert, um hier den bewaffneten Kampf gegen ein Regime zu führen, das selbst oder mittelbar an Ausbeutung und Folter, Hunger und Unterdrückung bis hin zum Völkermord beteiligt war und ist. Sie handelten aus einer politisch motivierten moralischen Verantwortung für die Menschen hier und mit internationalistischem Bewußtsein für die Menschen in den drei am meisten ausgebeuteten Kontinenten Afrika, Asien und Lateinamerika.
1972 verschärften die USA ihren ohnehin schon barbarischen Krieg in Vietnam mit der systematischen Bombardierung ziviler Ziele und der Verminung der nordvietnamesischen Häfen, um – wie es ein verantwortlicher General formulierte – dieses Land in die Steinzeit zurückzubomben. Diese Angriffe wurden über einen Großrechner im europäischen US- Hauptquartier in Heidelberg koordiniert. Jahrelange erfolglose und mit polizeilichen Mitteln zerschlagene Proteste hatten nicht zum Ende der US-Aggression in Vietnam geführt. Daher zog die RAF daraus nach langem Diskussionsprozeß die Konsequenz, daß die Mittel überdacht werden müssen. Da weiteres erfolgloses Demonstrieren in den kriegführenden Zentren den Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes nur unnötig verlängern würde und angesichts der Völkermordpraktiken der USA in Vietnam nur zynisch wirken mußte, ergriff die RAF in diesem Krieg militärisch Partei: Sie griff am Tag der Verminung ein US-Offizierskasino in Frankfurt und kurz darauf besagtes Hauptquartier in Heidelberg mit Autobomben an. Dabei starben fünf US-Soldaten. Die RAF begriff diesen Angriff als emanzipativen Schritt für sich selbst und die gegen die US-Kriegsführung demonstrierenden Menschen, nicht zusehen und resignieren zu müssen, sondern mit neuen Mitteln wirkungsvoll handeln zu können.
[...] Wegen dieser Aktionen ist die RAF als „Staatsfeind Nr.1“ verfolgt worden. Die noch 1972 verhafteten RAF-Mitglieder wurden von Anfang an mit Sonderhaftbedingungen konfrontiert: Sondertrakte, Sondergerichte, Isolationshaft, kaum Besuche, rigide Zensur, 24-Stunden-Neonbeleuchtung, akustischer und optischer Reizentzug... und mehr.
Um dem ein Ende zu bereiten und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, daß der Nachfolgestaat des Nazi-Faschismus ungebrochen barbarische Methoden gegen seine Gegner anwendet, wurde die Botschaft in Stockholm besetzt. Dabei wurden der Wirtschafts- und der Militärattaché durch die Besetzer getötet, weil die BRD-Regierung sich nicht hat „erpressen“ lassen wollen, also Tote in den eigenen Reihen hinzunehmen bereit war. Die Besetzer hatten mit dieser menschenverachtenden Kaltblütigkeit des Staates nicht gerechnet. Statt dessen gingen sie davon aus, daß – wie sie ihr Leben für ihre gefangenen FreundInnen eingesetzt hatten – auch der Staat mit seinen „Bediensteten“ umgehen, also sie austauschen würde, so wie dies zwei Monate zuvor nach der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz geschehen war. Dies aber war nicht der Fall, statt dessen wurde die Botschaft gestürmt: Ulrich Wessel und Siegfried Haussner starben. Die übrigen wurden zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt, mittlerweile auf einmal lebenslänglich zusammengezogen.
Nebenbei – war es „Erpressung“? Vielleicht sollten wir daran denken, daß sich dieser Staat zu jeder Zeit von den Großkonzernen zu immer neuen finanziellen Zugeständnissen (Subventionen, Steuergeschenke) „erpressen“ läßt. Es kommt eben darauf an, wer... Und kein Wunder, wenn die Verantwortlichen dieses Staates bisher auch nie zur Selbstkritik bereit waren. Anders Lutz Taufer, damals an der Aktion beteiligt: „Aus Berichten weiß ich, daß nach unserer Aktion in Stockholm, die wir sechs mit ebenso kompromißloser wie den gesellschaftlichen Prozessen gegenüber blinder Härte gegen die Geiseln wie auch gegen uns selbst gemacht hatten – und nach deren Scheitern vier Tote da waren und vier Gefangene mehr, und nicht das Kollektiv der RAF in Freiheit, in jenem Land der Dritten Welt, das uns Aufnahme zugesagt hatte –, unsere damaligen Freunde ziemlich durcheinander durch die Gegend liefen. Die nicht mehr anschlußfähige Härte dieser Aktion war auch für die RAF etwas Neues.
Was hätten sie tun sollen? Uns kritisieren, uns in den Rücken fallen, die wir alles gegeben hatten, mehr als sich irgendwer je gedacht hatte? Ja, eine Kritik an uns wäre besser gewesen, als die unreflektiert übernommene Härte von Stockholm zur Grundlage kommender Jahre zu machen. Härte ist in den seltensten Fällen revolutionär oder emanzipativ... Wo die Mittel das emanzipative Ziel, ohne die die revolutionäre Politik ihre Mitte verliert, sinnlos wird, aus dem Auge verlieren, wirken solche Mittel gegen uns, isolierten uns. Sie machen die Politik unglaubwürdig.“
Diese nachträgliche Reflexion ist etwas anderes als das staatlicherseits verordnete Abschwörungsritual. Sie ist politisch – und genau dazu erweisen sich bisher Staat und Justiz in der Frage der RAF-Gefangenen unfähig. Sie wollen psychiatrische Gutachten, weil sie diese Geschichte auslöschen wollen. Und deshalb, weil die Gefangenen ihre Identität und ihre Menschenwürde behalten haben und behalten werden, weigern sie sich, in diesen Schachzug der Justiz einzuwilligen. Stefan Schmidbauer, Celle
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