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Killertomaten sorgen für Verwirrung

■ Rita allein gegen die Mafia: Premiere von Gilla Cremers Solo-Stück in den Kammerspielen

: Premiere von Gilla Cremers Solo-Stück in den Kammerspielen

Es gibt wohl kaum eine undankbarere Aufgabe für das Theater, als die Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlich-medizinischen Komplex. Die Strukturierung der notwendigen Informationen, die das Publikum benötigt, um sich die darin verborgenen ethischen Konflikte aus einer neuen Sicht vorzustellen, läßt sich mit den Mitteln des Theaters nur selten bewältigen. Verzichtet man aber ganz darauf und wendet sich gleich dem scheinbaren moralischen Konsens zu, so gerät man schnell in ein Fahrwasser aus Jargon und Aroma, in dem man nur Vorurteile verrührt.

Gerade bei einem Komplex wie dem der genmanipulierten Lebensmittel, wo selbst bei aufmerksamen Medienkonsumenten einem Minimum an faktischem Wissen ein Maximum an Verurteilungswillen gegenübersteht, wird dieser Widerspruch fatal. In einem Diskurs, wo prahlerische Atheisten plötzlich fast unverhohlen mit religiösen Reinheitsgeboten argumentieren und kritische Geister zu den Moralaposteln konvertieren, kann Theater, das sich nicht als propagandistisches Instrument versteht, weder ernsthaft dokumentieren noch einleitungslos diskutieren. Will es das Nachdenken über die wissenschaftliche Moral und die uralte Frage, ob alles was möglich ist auch getan werden muß, dennoch leisten, dann ist die Farce sicherlich eine der brauchbarsten Ansätze.

Gilla Cremer hat zu diesem Zweck die Figur einer Supermarkt- Kassiererin erfunden, die sich der Verschwörung einer Tomatenmafia auf der Spur fühlt, die ihren Supermarkt zu einem Versuchslabor für manipulierte Lebensmittel auserkoren hat. Rita Gerlach glaubt deutliche Veränderungen bei ihren Kolleginnen und Kunden zu beobachten, seit der neue Marktleiter Schmitz den Laden modernisiert hat.

In einem Behandlungszimmer, so glaubt Rita, bearbeite dieser die Tomaten mit verbotenen Methoden, die bei den Konsumenten zu abnormen Veränderungen führen. Auch in Limo Light und Rindernakkensteak wähnt sie verbotene Stoffe, die bei ihrer Freundin Walli zu einem übermäßigen Wachstum des Busens und Stimmungsschwankungen führen. „Allein gegen die Mafia“ will sie nun die kriminellen Machenschaften beweisen und führt dazu eigene Testreihen an ausgewählten Kunden durch, um festzustellen, ob diese sich daraufhin verändern. Schlußendlich glaubt sie, schmatzende Tomaten in militärischer Formation sich durch den Su-

1permarkt bewegen zu sehen.

Leider gelingt es Gilla Cremer und ihrem Co-Texter und Co-Regisseur Max Eipp nicht richtig, die Grenze zwischen Fakten und Wahnvorstellungen Ritas deutlich genug zu ziehen. So führt die Parodie oft mehr zur Verwirrung, als zu

1verstehendem Lachen. Selbst im Finale des langen Monologs Gilla Cremers erfährt das Publikum keine Auflösung über Sein und Schein. Spannend und amüsant dagegen die Beobachtungen aus dem Alltag einer Kassiererin, die von Cremer liebevoll und ohne jede

1Denunziation brillant in Szene gesetzt wird.

Zeitlich gestrafft und textlich nachbearbeitet kann aus Ritas Krieg gegen die Killertomaten somit sicherlich noch eine wirklich bissige Satire werden. Till Briegleb

Kammerspiele, 24. bis 28.2.

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