: "Die Fronten klären sich"
■ Konsens mit der Atomwirtschaft, aber kein Kompromiß über das Ziel des Ausstiegs: Interview mit Gerhard Schröder, Ministerpräsident von Niedersachsen
taz: Vor sieben Jahren haben Sie auf dem Nürnberger Parteitag dafür gestimmt, daß die deutschen Atomkraftwerke in zehn Jahren stillgelegt werden. Wie lange dauert es heute?
Gerhard Schröder: Ich bin kein Kaffesatzleser.
Aber ein Papier haben Sie mitformuliert, in dem die Vorstandschefs der zwei größten Energieversorger Deutschlands ein geordnetes Auslaufen der heutigen Atomkraftwerke anbieten. Sind Sie zufrieden?
Schlimm finde ich eine Situation, in der Kritiker – die SPD eingeschlossen – schon damit zufrieden sind, Kritiker zu sein, ohne daß sonst irgend etwas passiert. Angenehm aufgefallen ist mir, daß die meisten Kernenergiegegner die Chance des Angebots begriffen haben. Sie haben gesagt, daß sie versuchen wollen, einen gesellschaftlichen Konsens über den Ausstieg aus der Atomenergie zu erzielen. Unangenehm aufgefallen ist mir, daß die Bundestagsfraktion meiner eigenen Partei dieses Maß an politischer Klugheit, über das auch Herr Fischer verfügt, nicht aufgebracht hat. Die Diskussion über den Ausstieg hat an Schubkraft gewonnen, auch innerhalb der Energieversorger wird darüber geredet, die Fronten beginnen sich zu klären.
Auf sämtlichen Aktionärsversammlungen der Energiewirtschaft werden Glaubensbekenntnisse zur Atomkraft abgegeben. Sogar die Option auf eine neue Kraftwerksgeneration, die das Papier offenhält, wird als unzureichend empfunden.
Ich habe das sehr genau verfolgt. Am entschiedensten hat die Veba am Konsenskonzept festgehalten, bei den RWE ist das ein bißchen widersprüchlich. Daß die Süddeutschen, allen voran die Bayern, ihren Rücken steif machen für Kernkraft, habe ich nicht anders erwartet. Ich habe nicht gesagt, daß wir am Ende eines Weges angekommen seien, zumal ja die Bundesregierung zur Zeit noch die Hardliner unterstützt. Davon bin ich nicht überrascht. Mir reicht es, daß die entschiedenen Gegner der Kernkraft seither in die Offensive gegangen sind. Aber mich schmerzt es, daß die Bundestagsfraktion meiner Partei sich benutzen läßt.
Von wem?
Von denen, die keine Bewegung in die Debatte bringen wollen: Teile der Energieversorger und Teile der SPD, wo man auf papierenen Positionen besteht. Ich muß daran erinnern: Die letzte Entscheidung eines sozialdemokratischen Umweltministers in dieser Sache war nicht, ein Kernkraftwerk abzuschalten, sondern eines in Betrieb zu nehmen. Nämlich in Obrigheim, Baden-Württemberg. Herr Schäfer ist ein entschiedener Gegner der Atomkraft, aber es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Ich möchte nicht in drei Jahren das zehnjährige Jubiläum des Ausstiegsbeschlusses feiern, ohne daß ich etwas getan habe für den Ausstieg.
Braucht die SPD einen neuen Atomparteitag?
Überhaupt nicht. Wir brauchen keine neuen Beschlüsse, sondern die Umsetzung von Beschlüssen, vor allem das ist übersehen worden in der SPD-Bundestagsfraktion. Wir beginnen damit, in Niedersachsen bauen wir eine andere Energieversorgungsstruktur auf. Denn wir müssen ja nicht nur die Frage beantworten, wo wir rauswollen, sondern auch, wo wir reinwollen.
So leicht ist der Ausstieg in dem Konsenspapier nicht zu erkennen. Es ist von unbestimmten Fristen die Rede, verbunden mit der Option auf eine neue Kraftwerksgeneration.
Wenn sich die Kritiker auf die Chancen besännen, statt sich gegenseitig des Verrats zu bezichtigen, wären wir weiter. Dann ließe sich die Frage, welches Kraftwerk wann stillgelegt wird, schon beantworten. Und eine Option ist etwas, was man wahrnehmen oder auch lassen kann. Ich weiß nicht, ob das bewußt oder aus Mangel an Sachkenntnis übersehen wird. Ich habe in allen Gesprächen immer klargemacht, daß ich nicht daran dächte, diese Option einzulösen. Veba, KWU und auch Herr Holzer von den Bayernwerken haben das sehr gut verstanden. Sie haben begriffen, daß auch sie nicht mehr als eine Chance haben, dereinst wieder einzusteigen in die Atomenergie – wenn sie Mehrheiten dafür finden. Meine Kritiker haben es übrigens auch begriffen, sie wollen es nur nicht wahrhaben. Da finden innerparteiliche Machtkämpfe statt, was mich nicht empört. Weder Sie noch ich können etwas dagegen haben, daß einer zukünftigen Generation eine Option offengelassen wird. Wichtig ist nur, daß die Option eine Option bleibt und der Staat die Entwicklung neuer Reaktorlinien nicht finanziert.
Die Atomindustrie möchte aber eine politische Garantie haben.
Die bekommt sie von mir nicht.
Aber nur deswegen nimmt sie an den Gesprächen teil.
Ich glaube nicht. Das Motiv ist ein anderes: Diejenigen, die realistisch denken, wissen, daß in absehbarer Zeit in Deutschland kein Atomkraftwerk genehmigt wird. Sie wollen aber im gemeinsamen Markt nicht nur Verteiler, sondern auch Erzeuger von Strom sein. Daraus folgt, daß sie nicht mehr in die Kernkraft investieren dürfen. Darin liegt die ökonomische Chance, die wir nutzen sollten.
Milliarden fließen in den Bau eines neuen deutsch-französischen Reaktors, in fünf Jahren soll der Prototyp fertig sein. Ihre Konsensgespräche verhindern, daß dieses Geld der Entwicklung alternativer Energien zur Verfügung steht.
Ich kann Siemens nicht daran hindern, mit der Framatome Geschäfte zu machen. Aber ich kann versuchen zu verhindern, daß der Staat das öffentlich finanziert. Auch die Atomindustrie weiß natürlich, daß ihre Lage nicht besser wird. Der Ausstieg wird kommen, die SPD wird an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein. Ich bin übrigens sehr gespannt, was die Bundestagsfraktion, die jetzt mein Konzept für zuwenig weitgehend hält, dann vereinbaren wird – in welcher Koalition auch immer.
Auch der weltweite Export von Atommüll gehört zum Konsensangebot der Atomindustrie.
Das ist wieder – freundlich ausgedrückt – so ein Mißverständnis.
Die Veba sucht schon mal im Ausland nach einem Ersatz für das Endlager Gorleben.
Sehr ernstzunehmende Experten sagen, daß es in Mitteleuropa überhaupt keine für atomare Endlager geeigneten geologischen Formationen gibt, mit einer Ausnahme vielleicht: das Haselgebirge in Schleswig-Holstein.
Haben Sie mit dem dortigen Energieminister Jansen schon darüber gesprochen?
Nein, ich mache keine Politik, die das Problem anderen zuschiebt.
Diesen Eindruck hatte aber wohl Ihr Parteigenosse Dieter Spörri in Baden-Württemberg. Er fürchtet um die schwäbische Alb, die als Ersatz für Gorleben in Frage käme.
Wenn fünzehn Bundesländer von Atomenergie abhängig sind, aber nichts für die Entsorgung tun, weil das ja Niedersachsen macht, dann haben die nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich kann doch nicht den unsicheren Standort Gorleben akzeptieren, bloß weil es aus ideologischen Gründen ein nationales Endlager geben soll! Ich habe einen Amtseid für mein Land geschworen. Gorleben ist nicht geeignet, deshalb kommt dort kein Endlager hin. Da kann Herr Spörri jaulen, wie er will. Wenn er meint, er braucht ein nationales Endlager, dann soll er den Granit seiner schwäbischen Alb für Untersuchungen zur Verfügung stellen. Dann kann er mich kritisieren, sonst bitte nicht. Wer für ein nationales Endlager ist, muß sein Land dafür anbieten, sonst ist das nicht redlich. Im übrigen brauchen auch die GUS-Staaten ein Entsorgungskonzept. Wenn es unseren Sicherheitsstandards entspräche, wäre ich ruhiger. Ich denke an Kooperation, nicht an Geschäfte mit Müllexport.
Schwer zu unterscheiden. Für die Atomindustrie dürfte die politische Formation wichtiger sein als die geologische. In Niedersachsen ist kein Endlager durchzusetzen, in Baden-Württemeberg auch nicht, in den GUS-Staaten aber wahrscheinlich schon.
Das weiß ich nicht. Im Falle des Ausstiegs sind wir bereit, an einem Entsorgungskonzept mitzuwirken. Wenn sich herausstellen sollte, daß der Schacht Konrad geeignet ist, stellen wir ihn als Zwischenlager zur Verfügung. Im Augenblick sieht es allerdings nicht danach aus, die Transport- und Langzeitrisiken sind nicht geklärt.
Im März beginnen die Konsensgespräche. Die Umweltverbände dürfen nur an Arbeitsgruppen teilnehmen. Warum sitzen sie schon wieder nicht mit den verantwortlichen Politikern an einem Tisch?
Die Bundesregierung hat es abgelehnt. Das Maß an Unbefangenheit, mit der ich in dieser Frage vorgegangen bin, hätte ich anderen auch gewünscht. Meine Bundestagsfraktion zum Beispiel hat gesagt, sie möchte Herrn Fischer nicht dabeihaben. Wenn es dazu gekommen wäre, hätte ich mein Mandat zurückgegeben. So haben wir uns schließlich darauf geeinigt, daß zuerst eine Vorrunde stattfindet, in der die dazu legitimierten Politiker sagen, was sie eigentlich wollen. Danach gehen wir in die große Runde, an der auch die Umweltverbände teilnehmen.
Der Konsens ist nur als Kompromiß vorstellbar.
Nicht in der Frage des Ausstiegs. Das Ziel, aus der Atomenergie rauszukommen, ist für mich nicht kompromißfähig.
Was denn dann?
Wir bieten erstens an, über einzelne Stillegungszeiten zu reden, also eine geordnete Abwicklung des Investments. Wir bieten zweitens an, nach dem erklärten Ausstieg an der Entsorgung mitzuwirken und drittens die Zusammenarbeit beim Aufbau einer neuen Energieversorgungsstruktur. Das sind weitreichende Angebote, und die fortgeschrittene Fraktion der Energieversorger hat das sehr wohl verstanden.
Wer muß sich nun als nächstes bewegen?
Die Energieversorger müssen intern ihre Position klären. Sie dürfen sich nicht von den Bayernwerken, die ja nur lokale Bedeutung haben, auf der Nase herumtanzen lassen. Und bewegen muß sich die Bundesregierung. Überhaupt nicht zu bewegen brauchen sich die Umweltgruppen. Sie werden sachliche Beiträge liefern, sie definieren das Ausstiegsziel. Die Politik ist darauf angewiesen, sich von ihnen unter Legitimationsdruck setzen zu lassen.
Was geschieht, wenn die Gespräche scheitern?
Dann muß man die Frage an die Wähler zurückgeben. Interview: Niklaus Hablützel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen