: Osten mit Schwarzem Peter beim Stahl
■ Stahlbranche mit noch mehr Arbeitsplatzabbau / EG-Kommission plant angeblich 30 Prozent Zoll auf Stahl aus Osteuropa / Arbeitgeberchef Vondran: 100.000 Jobs in EG gefährdet
Berlin (taz/dpa) – Die EG- Kommission will die europaweite Stahlkrise offenbar auf Kosten der neuen osteuropäischen Nachbarn mildern. Das Bonner Wirtschaftsministerium erwartet, daß beim EG-Ministerrat am Donnerstag protektionistische Maßnahmen vor allem gegen Importe aus Osteuropa verhängt werden. Stahlprodukte aus der Tschechischen und Slowakischen Republik sowie aus Polen, die die Importmenge von 1991 um 20 Prozent überstiegen, sollen mit einem Strafzoll von 30,4 Prozent belegt werden. In den ersten zehn Monaten 1992 stiegen die Importe von Walzstahlerzeugnissen aus Osteuropa (ohne GUS) um über 60 Prozent auf 1,2 Millionen Tonnen.
Gleichzeitig verkündete die deutsche Stahlindustrie, daß die Krise noch tiefer ist als schon eingestanden. Mehr als 100.000 Arbeitsplätze in der EG-Stahlindustrie hält der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Ruprecht Vondran, für gefährdet. Allein in Deutschland werden bis zu 40.000 Arbeitsplätze verlorengehen, zehntausend davon im Osten. In der vergangenen Woche war noch von 30.000 Arbeitsplätzen die Rede, die maximal verlorengehen sollten. Aus den höheren Zahlen leitet Vondran, der für die CDU im Bundestag sitzt, sogleich Geldforderungen ab: „Die 240 Millionen Ecu (480 Mio. DM), die Brüssel für soziale Begleitung in den Büchern stehen hat, sind zuwenig.“ 1992 waren in der Bundesrepublik noch knapp 37 Millionen Tonnen Stahl produziert worden, davon drei Millionen in den neuen Bundesländern. Künftig sollen es deutschlandweit mindestens fünf Millionen Tonnen weniger sein. Das wäre rund ein Fünftel der 30 Millionen Tonnen, die die EG-Kommission in der Gemeinschaft abbauen wolle. Brüssel hält bei Rohstahl eine Verringerung der Kapazitäten um 30 Millionen für nötig.
Bei den Stahlmanagern wächst unterdessen die Einsicht, daß sie an dem Fiasko ihrer Konzerne nicht unschuldig sind. Seit 1987 haben die Bosse die Strukturprobleme der Branche vernachlässigt. Ihr betriebswirtschaftliches Kalkül hat die Firmen noch tiefer in die Krise geritten. „Die Ursachen für den Preisverfall sind teilweise hausgemacht“, so Krupp-Chef Gerhard Cromme. „Wenn die Preise rutschen, will jedes Werk noch möglichst schnell viel verkaufen. Das drückt zusätzlich auf die Preise“, sagte er dem Spiegel. Jetzt sei es nicht mehr einfach, den Stellenabbau sozialverträglich durchzuziehen. Es fehle an Geld und an Beschäftigten „in einem Alter, das für einen vorzeitigen Ruhestand in Frage kommt“.
Die Regierung müsse also protektionistische Maßnahmen gegen billige Stahlimporte ergreifen, so Vondran. „Wenn die Politik keine Außenflankierung geben will, ist es nicht möglich, daß Gelder innerhalb der Stahlindustrie mobilisiert werden, um sozialfriedlich den Markt zu bereinigen.“ Auf dem EG-Gipfel in Edinburgh hatten die Staats- und Regierungschefs noch zugesagt, den Marktzugang für Ostprodukte stetig zu verbessern. ten
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