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Viel Mittelmaß

Wenig Klasse beim 29. Grimme-Preis  ■ Von Reinhard Lüke

Beim honorigen Adolf-Grimme-Preis ist's nun mal Usus, die Gewinner einen Monat vor der Preisverleihung bekanntzugeben. Was eigentlich schade ist. Denn so entfällt nicht nur jenes spannende Oscar-Nesteln an Briefumschlägen mit anschließendem „And the Winner is...“, sondern mit diesem Modus ist leider auch ausgeschlossen, daß es anläßlich der Verleihung zu tumultartigen Szenen zwischen Triumph-Berauschten und beleidigten Leberwürsten kommen könnte. Die Freudentänze auf dem Mainzer Lerchenberg, wo gestern die diesjährige Gewinnausschüttung (allein viermal „Gold“ plus diverse Trostpreise) eintickerte, hätte man doch ebenso gern live erlebt wie die langen Gesichter bei der ARD. Während man beim kleinen ORB vielleicht noch die eine oder andere Flasche „Rotkäppchen brut“ köpfen konnte, dürfte dat Kölsch beim WDR nit so recht jemundet haben. Daß andere ARD-Anstalten diesmal vollends in die Röhre guckten, wird ein schwacher Trost gewesen sein.

Nimmt man die Preise im einzelnen unter die Lupe, offenbart sich viel gediegenes Mittelmaß, aber kaum Herausragendes.

Uneingeschränkt zustimmen kann man allenfalls beim Gold für „Die geheime Sammlung des Salvatore Dali“. Ein köstliches Verwirrspiel von Otto Kelmer um Original und Fälschung, das sich raffiniert als Dokumentation von Georg Stefan Troller tarnt. Löblich auch das Silber für „Landschaft mit Dornen oder Todesspiele“, ein sicherlich streitbares Fernsehspiel des ORB mit dem Mut zur durchgeknallten Überdrehtheit. Demgegenüber verdient der Sieger in dieser Sparte, Norbert Kückelmanns „Abgetrieben“ (über den Prozeß gegen jenen Memminger Frauenarzt) gewiß Respekt als redliche Arbeit, aber „Gold“? Desgleichen lag Thomas Riedelsheimers Dokumentation aus dem Innenleben eines Nonnenklosters („Sponsae Christi – Die Bräute Christi“) handwerklich sicherlich über dem Durchschnitt, war jedoch keineswegs besser als die mit Bronze abgefundenen „Der Ami geht heim“ oder „Der Autobahnkrieg“. Irgendwie muß da ohnehin eine Mehrheits-Fraktion mit einem besonderen Faible für Getragen-Metaphysisches in der Jury gesessen haben.

Was sich bei Riedelsheimer vielleicht nur als Themenbonus ausgewirkt haben mag, wird in zwei anderen Voten manifest: Silber für „Verlorene Landschaft“, ein Streifen, dessen schwülstig- symbolträchtige Gegenlichtspielereien schwer an kunstgewerblichen Spät-Tarkowski gemahnen. Und ebenfalls Edelmetall (vollends unsinnig im Bereich „Information“) für „Lektionen in Finsternis“. Die erste Film-Eigenproduktion des Pay-Kanals Premiere zelebriert zwar auf faszinierende Weise die pittoreske Apokalypse der brennenden Ölquellen in Kuwait nach dem Golfkrieg, verursacht jedoch durch schwerst metaphysisch verblasene Laubsäge- Kommentare von Regisseur Werner Herzog akute Magenkrämpfe. Die beiden Trostpreise in der Sparte „Unterhaltung“ gehen in Ordnung, ohne im Prinzip mehr zu sein als der Beleg für die deutsche TV-Tristesse in Sachen Kurzweil. In der Rubrik „Spezial“, traditionell am ehesten geeignet, mutig Verqueres zu loben, hat sich die Jury nun wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert.

Am „Gold“ für Roger Willemsen und seiner „0137“-Moderation gibt's zwar nichts zu deuteln, ist aber nur das Eingeständnis, die Auszeichnung im letzten Jahr schlicht versemmelt zu haben. Dasselbe gilt für Matthias Beltz, der nun für seine zweite „Nachschlag“-Staffel prämiert wird, obwohl die erste, mit der er seinerzeit die satirische Fünf-Minuten-Terrine der ARD eröffnete, keineswegs schlechter war. An der Prämierung von „Wolffs Revier“ in der Sparte „Serien und Mehrteiler“ läßt sich allenfalls die Lust der Juroren ablesen, den Öffentlich-Rechtlichen mal süffisant ans Bein zu pinkeln. Besser als die havariengeschüttelte „Vera Wesskamp“ oder der wackere „Dr. Specht“ war der Sat.1-Krimi mitnichten.

Summa summarum, risikolos- gediegene Entscheidungen, die sich mühen, den Mangel an richtungweisendem Wagemut mit ein paar Feigenblättern zu kaschieren – sowas ist beim „Bambi“ inzwischen auch längst Usus.

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