: IG Chemie tritt aus Schatten der Metaller
Ostdeutsche Chemiearbeiter erhalten nach erfolgreicher Schlichtung neun Prozent mehr Lohn/ Tarifrevision für Metallindustrie in allen neuen Ländern gescheitert ■ Von Erwin Single
Berlin (taz) – Die Arbeitsteilung zwischen den Arbeitgebern klappt hervorragend. Während die ostdeutschen Metallunternehmer gleich reihenweise die Stufentarifverträge für die neuen Bundesländer aufkündigen und damit Verwirrung in der Tariflandschaft schaffen, konnte der Arbeitgeberverband Chemie stolz verkünden, für klare Tarifverhältnisse in der ostdeutschen Chemieindustrie gesorgt zu haben. Die Tarifeinkommen der 80.000 Beschäftigten werden ab 1.Februar um neun Prozent erhöht. So haben es am späten Montag abend, einstimmig und verbindlich, die Industriegewerkschaft Chemie und der Verband der ostdeutschen Chemieindustrie bei ihren Schlichtungsverhandlungen in Berlin beschlossen. Im Januar legen die Tarifparteien einen Null-Monat ein, in dem die Einkommen nicht erhöht werden. Der Vertrag soll bis Ende Februar 1994 gelten.
Arbeitgeber wie Gewerkschafter werteten den Tarifabschluß als Erfolg: Der Abschluß setze ein tarifpolitisches Signal für die Solidarpakt-Diskussion, sagte Chemieverbands-Sprecher Burkhard Jahn; der IG Chemie-Tarifexperte Hans Terbrack verwies auf den Durchbruch gegenüber dem ursprünglichen Arbeitgeber-Angebot von 7,5 Prozent und vier Null- Monaten.
Für das Gewerkschaftslager aber muß der Chemie-Abschluß einen bitteren Nachgeschmack haben – IG Chemie und IG Metall sind gegeneinander ausgespielt. Während die mächtige Metallgewerkschaft weiterhin auf dem im Frühjahr 1991 ausgehandelten Stufentarifvertrag besteht, der die Ostlöhne bis 1994 an das Westniveau angleichen soll, gibt sich die IG Cemie, immerhin die drittgrößte Einzelgewerkschaft, mit einem Inflationsausgleich für ihre Ost-Klientel zufrieden. Genau diesen hatten in Höhe von neun Prozent auch die Metall-Arbeitgeber in den Revisionsverhandlungen angeboten und dabei auf die mit hohen Verlusten arbeitenden Betriebe hingewiesen, die den vereinbarten Lohnsprung von 26Prozent auf 82Prozent des Westniveaus nicht verkraften würden. Daß die IG Chemie nicht allzuviel von der starren Verweigerungshaltung der Metaller hält, haben deren Vertreter schon zu Beginn der Verhandlungen signalisiert. „Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen“, verkündete Terbrack, „dann müssen wir uns bewegen.“
Die IG Metall hält indes genau das Gegenteil für richtig, denn sie glaubt mit einem Wortbruch ihre Mitglieder zu verprellen. Nachdem die Metall-Schlichtungsrunden in allen fünf Tarifbezirken geplatzt sind und die Arbeitgeber in Sachsen und Berlin/Brandenburg die Tarifverträge bereits einseitig aufgekündigt haben, treibt die Branche in Ostdeutschland auf einen Arbeitskampf zu. Doch kaum in der Tarif-Sackgasse gelandet, mehren sich die kritischen Stimmen am strammen IGM-Kurs. Die CDU forderte die Gewerkschaft gestern auf, sich den Revisionsgesprächen mit den Arbeitgebern nicht länger zu verweigern. Die Metaller wollen davon allerdings nichts hören und mobilisieren bereits die Belegschaften. Aber offensichtlich von der einseitigen Vertragskündigung durch die Arbeitgeber konsterniert, mit der eine Branche ab April erstmals seit 1928 ohne geltenden Tarifvertrag wäre, laufen die Aktionen nur langsam an. Und selbst ein Streik kann die mit roten Zahlen arbeitenden Betriebe kaum treffen: Für die Zeit des Ausstands sparen sie die Lohnkosten.
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