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Klammheimliche Verfahrenseinstellung-betr.: "Gegenstandslos geworden" (Gericht stellt Prozeß gegen Mutlangen-Blockierer ein), taz vom 16.2.93

betr.: „Gegenstandslos geworden“ (Gericht stellt Prozeß gegen Mutlangen-Blockierer ein),

taz vom 16.2.93

Es scheint sich bei der befaßten Strafjustiz zum Teil eine anmaßende Vorgehensweise zu entfalten, die meines Erachtens nicht akzeptiert werden kann. So sollen wohl vorerst bekannte Personen als „Vorreiter“ benutzt werden, um dann den ganzen Schlamassel, den die Justiz sich eingebrockt hat und dessen Opfer zuvor Tausende FriedensdemonstrantInnen geworden sind (viele davon haben im Gefängnis gesessen), „aus der Welt zu schaffen“.

Damit bleibt dann allerdings prinzipiell alles beim alten: der Nötigungsparagraph in seiner Nazi- Fassung wird nach wie vor nicht verändert. So kann man ihn bei nächster „passender Gelegenheit“ wieder als Knüppel aus dem Justizsack herausholen.

In meinem Fall sieht das so aus: Das Amtsgericht Schwäbisch Gmünd hat gegen mich am 17.1.1989 wegen der Teilnahme an u.a. neun verschiedenen gewaltfreien Sitzdemonstrationen am Pershing-II-Stationierungsort Mutlangen einen Strafbefehl über neunmal 50 Tagessätze (also insgesamt 450 Tagessätze) erlassen, mit einer Reduzierung auf eine Gesamtstrafe von 200 Tagessätzen zu je 40 DM, insgesamt 8.000 DM. Gegen diesen Strafbefehl habe ich am 20.1.1989 Einspruch eingelegt. Seitdem liegt diese Sache beim Amtsgericht Schwäbisch Gmünd „auf Halde“ (wie noch weitere unbearbeitete Strafbefehle gegen mich).

Nun wurde mir „richterlicher Weisung gemäß“ mitgeteilt, daß die Staatsanwaltschaft Ellwangen beantragt habe, im Hinblick auf einschlägige Verurteilungen durch die Amtsgerichte Bonn (30 Tagessätze) und Simmern (27 Tagessätze) „das Verfahren bezüglich der dem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd am 17.1.1989 zugrundeliegenden Taten nach Paragraph 154 Abs.2 Strafprozeßordnung einzustellen“. Dies ist demokratisch-rechtsstaatlich nicht zu akzeptieren. Deshalb wehre ich mich politisch dagegen, daß jetzt, da die Rechtsauffassung vieler Gerichte und Obergerichte nicht mehr davon ausgeht, daß die damaligen Sitzdemonstrationen als strafbar im Sinne von Paragraph 240 Strafgesetzbuch (Nötigung) einzustufen sind, in Schwäbisch Gmünd und Ellwangen der Versuch unternommen wird, einem wahrscheinlichen Freispruch auf höherer Gerichtsebene „vorzubeugen“.

Geht man von der bisherigen und seit 1983 ungebrochenen Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Ellwangen (und auch überwiegend des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd) aus, so beruhte dieser Strafbefehl gegen mich – wie andere auch – genau auf der Einschätzung, unser friedlicher und gewaltfreier Sitzprotest gegen Massenvernichtungswaffen sei als „Nötigung“ strafbar.

Sollten Staatsanwaltschaft und Gericht heute der Auffassung sein, die inkriminierten Sitzdemonstrationen seien nicht strafbar, dann erwarte ich einen ordentlichen Prozeß und einen Freispruch, aber keine klammheimliche Verfahrenseinstellung. Freispruch auch im Sinne einer politischen Rehabilitierung all der vielen verurteilten FriedensdemonstrantInnen.

Wenn die Staatsanwaltschaft Ellwangen jetzt beantragt, diese Strafsache gegen mich einzustellen, und wenn das Amtsgericht Schwäbisch Gmünd dem folgt, ist dies meines Erachtens Rechtsbeugung bzw. Strafvereitelung im Amt.

Sollte es zu einer Einstellung unter Bezug auf die vergleichsweise „geringfügigen“ Verurteilungen durch die Amtsgerichte Bonn und Simmern kommen, werde ich deshalb mit einer Strafanzeige gegen die Staatsanwaltschaft Ellwangen und die entscheidende Kammer des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd antworten. [...] Klaus Vack, Sensbachtal

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